Moderne Monster

Fantasy Filmfest in Berlin: Ein Gespräch mit dem japanischen Regisseur Shusuke Kaneko über Gamera-Filme und andere moderne Katastrophen

taz: Wenn Sie heute einen Monsterfilm drehen, haben Sie da die in Japan immer noch erfolgreichen Godzilla-Klassiker im Kopf?

Shusuke Kaneko: Ja, schon. Die Produktionsfirma Daiei wollte es von Anfang an wissen. Ich sollte Godzilla von seinem hohen Sockel stoßen. Doch niemand nahm uns 1995 besonders ernst, als ich den ersten Gamera-Film der neuen Serie drehte. Die alten Filme aus den 60er- und 70er- Jahren sind ja auch recht billig und infantil, ausschließlich auf ein junges Publikum ausgerichtet. Als ich meiner Frau daheim erzählte, ich würde einen neuen Gamera-Film drehen, lachte sie mich aus. Gamera war längst nicht so bekannt und beliebt wie Godzilla. Ich musste also eine neue, ernste und publikumswirksame Riesenschildkröte erschaffen. Im Gegensatz zum neuen Godzilla sollte Gamera menschenfreundlich sein.

Welche Zielgruppe peilen sie an?

Monsterfilme, die auf erwachsene Zuschauer ausgerichtet sind, erscheinen mir interessanter. Ich habe also nicht mehr so sehr Kinder, sondern vornehmlich Jugendliche und deren Eltern im Visier. Ganz wichtig sind in Japan die Erwachsenen, die mit den alten Originalfilmen aufgewachsen sind. Da ist ein großes Potenzial. Ich habe auch als Kind Monsterfilme gesehen und lieben gelernt. „Mothra bedroht die Welt“ 1961, der Film mit der Riesenmotte von Ishiro Honda, war, glaube ich, der erste Film den ich gesehen habe. Der hat mich schwer beeindruckt.

In „Gamera 3“ gibt es jede Menge starker Frauencharaktere. Keine Selbstverständlichkeit im japanischen Genre-film. Ist das der erste Monsterfilm für Frauen?

Schön wär’s. Mein Plan war es ja, mehr Frauen in den Film zu locken. Doch das Gegenteil war der Fall. Noch mehr Jungs und Männer kamen, um die schönen Frauen neben Gamera zu sehen.

Die optische Präsentation der Riesenmonster hat sich bei Ihnen geändert. Man sieht die Biester immer aus der Augenhöhe der Menschen. Man ist als Zuschauer mitten drin im Geschehen.

Früher haben die Studiobosse ihren Angestellten diktiert, wie Monsterfilme auszusehen haben. Wir haben heute mehr Freiheiten, auch was die Kameraarbeit angeht. Wir konnten diesen dynamischen, persönlichen Kamerastil entwickeln. Das hängt sicher auch damit zusammen, das sich Regisseure wie Akira Kurosawa durch ihren Erfolg mehr künstlerische Freiheit erkämpft haben. Auch wenn aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage die Budgets geschrumpft sind, kann man heute in Japan zumindest entspannter arbeiten.

Im Film sagt ein aufgeregter Politiker den ironischen Satz: „Warum wird ausgerechnet Japan ständig von Riesenmonstern attackiert?“ Eine berechtigte Frage. Ishiro Hondas „Godzilla“ von 1954 wird ja hinlänglich als Metapher für den Atombombenabwurf auf Hiroshima gelesen. Welche Bedeutung haben Monster in Japan heute?

Ungeheuer sind immer modern. Wir hatten das große Erdbeben, den Gasanschlag auf die Tokioter U-Bahn. Die Menschen sind verunsichert. Sie akzeptieren die Monster als Sinnbild für Katastrophen. Ich habe gehört, dass die Erdbebenopfer von Kobe meinen ersten Gamera-Film mochten. Wenn tatsächlich ein solches Monster in Tokio auftauchen würde, könnten wir herzlich wenig dagegen tun. Außerdem ist diese Stadt ist so zugebaut, dass man sich ab und zu ein Monster herbeisehnt.

In „Gamera 3“ arbeiten sie auch mit modernen Tricktechniken wie der Computeranimation. Dennoch werden die Monster noch immer von Stuntmännern in Gummikostümen dargestellt. Eine Tatsache die von vielen westlichen Kritikern belächelt wird.

„Suitmation“ ist immer noch der kostengünstigste Weg, den Monstern Leben einzuhauchen. Eine komplette Computeranimation wäre bei unseren Budgets viel zu kostspielig. „Gamera 3“ hat umgerechnet grade mal 7 Millionen Dollar gekostet. Suitmation funktioniert ja auch sehr gut. Ich bin mit dem Resultat sehr zufrieden.

In den 60er- und 70er-Jahren waren die japanischen Monsterfilme weltweite Exportschlager. Deutschland war ein großer Markt für Godzilla und Gamera. Heute laufen neue Produktionen vielleicht mal auf Festivals oder landen gleich auf Video. Was ist los?

Ich drehe definitiv nicht nur für Japaner. Ich glaube, das Hauptproblem liegt darin, dass die für den internationalen Export verantwortlichen Angestellten bei den Produktionsfirmen schlichtweg inkompetent sind. Die sitzen ihre Zeit hinterm Schreibtisch ab und starren aus dem Fenster.

Gefiel ihnen das amerikanische Godzilla-Remake?

Ich fand die Hauptdarstellerin gut. INTERVIEW: JÖRG BUTTGEREIT