Lautlose News

Eine Kölner Agentur übersetzt täglich Nachrichten simultan in die deutsche Gebärdensprache. Und muss dabei sehr schnell und erfinderisch sein

von JENNI ZYLKA

Wie stellt man den Begriff Kollateralschaden dar, ohne das Wort auszusprechen? Stefanie Abel umschreibt es mit Gebärden. Genau wie Parteispendenaffäre, Präsidentschaftskandidat, Raketenabwehrsystem oder Wasserhose. Die geborene Münsterländerin ist Gebärdendolmetscherin bei der Kölner Agentur „Loor Ens“, Kölsch für „Schau mal“, der einzigen Vermittlung von Simultan-GebärdensprachdolmetscherInnen in Deutschland. Es gibt zwar noch Freiberuflerinnen, aber nicht sehr viele.Vor fünf Jahren hat Stefanie Abel die Firma gegründet, zusammen mit zwei weiteren Dolmetscherinnen, zwei Gebärdensprachdozenten und einem Gehörlosenpädagogen bietet das Kölner Team außer Übersetzungen noch eine Sprachschule und einen Lerntreff für gehörlose Menschen plus Nachhilfe und Tipps für die Familienbetreuung.

Zeitgleiche News für Hörende und Gehörlose

Abel und ihre beiden Kolleginnen Asta Limbach und Marion Jokisch, die als Kind gehörloser Eltern quasi „in den Beruf hineingeboren wurde“, übersetzen täglich live die 20.00 Uhr-Tagesschau und das heute-journal für Phoenix. Der Sender bietet als einziger diesen Sevice für die offiziell rund 80.000 Gehörlosen in Deutschland. Die wirkliche Anzahl gehörloser Menschen ist schwer zu ermitteln, weil bis 1994 noch alle sinnesgeschädigten Menschen zusammen erfasst wurde – also auch die Blinden. Und danach wurden sie überhaupt nicht mehr erfasst. Dazu kommen noch die Altersschwerhörigen, die die Gebärdensprache aber meist gar nicht mehr erlernen können. Die Simultan-übersetzung der Nachrichten „empfinden Gehörlose als viel angenehmer als die Untertitelung“, deren Informationsgehalt oft auch „arg reduziert ist oder aus Aktualität ganz ausfällt“, sagt Abel, „denn man kann die Nachrichten auch mit der entprechenden Emotionalität darbieten.

Wenn sich zum Beispiel ein Politiker im O-Ton auf dem Parteitag richtig echauffiert, können wir das auch so übersetzen.“ Außerdem sei es für Gehörlose natürlich sehr wichtig, die Nachrichten des Tages zeitgleich mit den Hörenden zu bekommen. Und es gibt zwar noch einmal in der Woche das bewährte „Sehen statt Hören“ im bayerischen Fernsehen, aber so früh am Samstag morgen, dass „darum auch alle Gehörlosen Videorecorder haben“, lacht Stefanie Abel.

In der Gebärdensprache gibt es keine Wortspiele

Bei der Simultanübersetzung der Phoenix-Nachrichten haben Abel und die anderen der Agentur keinesfalls die redaktionellen Texte der Beiträge oder die Moderationen im voraus, sondern bereiten sich „durch Nachrichten lesen, gucken, im Internet mitverfolgen“ vor, und müssen dann schnell reagieren. Wenn eine Äußerung den ganzen Tag läuft, dann überlegen sie sich „schon mal vorher, wie man das am besten darstellt“, für abstrakte Begriffe erfinden sie keine neuen Gebärden, sondern umschreiben die Themen bzw. buchstabieren. Für die Parteien beispielsweise gibt es feststehende Gebärden, „das Schwierigste sind aber Wortspiele, wie sie oft im heute-journal bei den Anmoderationen üblich sind“, sagt Abel. Denn „Wortspiele gibt es in der Gebärdensprache natürlich nicht“, es wird dann in eine Art sinngemäßes Gebärdenspiel übersetzt.

Etwa wenn Wolf von Lojewski den Beitrag über die Waldbrände im Westen der USA mit einem langen Vorlauf über die Tücken des Wetters der letzten Jahre anfängt, mit vielen bildlichen Formulierungen und Umschreibungen, so dass auch die Hörenden erst nach 30 Sekunden das Thema gefunden haben. „Die Moderatoren haben oft einen Spannungsbogen in ihren Moderationen, da weiß man manchmal noch nicht, worauf sie hinauswollen“, und trotzdem muss man schon vorsichtig mit übersetzen.

Das funktioniert überhaupt nur, weil die deutsche Gebärdensprache „doppelt so schnell wie die deutsche Lautsprache ist“, erklärt Abel. Wenn man eine der drei Dolmetscherinnen im Kästchen in der Bildschirmecke herumfuchteln sieht, wird klar, was sie meint: die Damen übersetzen natürlich mit einer winzigen Verzögerung, trotzdem scheinen sie immer fast zeitgleich bei dem nächsten Thema anzukommen. Und nicht nur Arme und Hände der Dolmetscherin übersetzen: Auch die Mimik spielt eine wichtige Rolle.

Bei Spielfilmen, die noch sehr selten und dann auch nur bei speziellen Veranstaltungen mit Simultanübersetzung angeboten werden, übersetzen die DolmetscherInnen übrigens auch die Musik: „Wir versuchen, mit Gebärden zu beschreiben, welche Stimmung die Musik beschwört, und wenn sich etwa ein musikalisches Thema durch den ganzen Film zieht, dann stellen wir das auch dar.“

Die Gehörlosen haben auch „richtig Blut geleckt“, sagt Abel, und möchten die Möglichkeit der Simultanübersetzung nicht mehr missen. „Phoenix macht da schon einen Schritt in die richtige Richtung“, denn man muss sich immer überlegen, dass im Gegensatz zu anderen sprachlichen Minderheiten, die für spezielle Programme im Fernsehen kämpfen, die Gehörlosen „die Sprache einfach nicht erlernen können, selbst wenn sie es wollten“.

Gehörlose können mit den Armen lallen

Stefanie Abel ist natürlich nicht gehörlos, die Dolmetscherinnen müssen ja den Originalton der Nachrichten verstehen und dazu übrigens noch „voll bewegungsfähig“ sein können. Die 37-Jährige hat als Jugendliche angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, und war davon fasziniert. „An der Uni konnte man die Sprache nicht studieren, darum habe ich meine Fähigkeiten quasi in der Kneipe gelernt“, einfach durch Reden mit Gehörlosen. Und apropos Kneipe: Gehörlose „lallen auch mit den Armen“, wenn sie einen im Kahn haben. Nur dass das den Hörenden praktischerweise nicht so auffällt.