Sierra Leones Täter sollen vor Gericht

Der UN-Sicherheitsrat beschließt die Einrichtung eines Tribunals. Die Einzelheiten soll Kofi Annan in Verhandlungen mit der Regierung in Freetown klären. Denn wer von wem wofür angeklagt werden soll, ist derzeit noch offen

BERLIN taz ■ Der UN-Sicherheitsrat hat beschlossen, ein Kriegsverbrechertribunal für Sierra Leone einzurichten. In einer am Montagabend einstimmig verabschiedeten Resolution werden jedoch keine Details über Sitz und Art des Tribunals festgelegt. Sie sagt auch nicht, wer vor Gericht gestellt werden soll und für welche Verbrechen. Für all dies soll UN-Generalsekretär Kofi Annan binnen 30 Tagen in Verhandlungen mit Sierra Leones Regierung ein Konzept ausarbeiten.

Vor Gericht gestellt werden sollen laut der Resolution „Personen, die die größte Verantwortung (für Kriegsverbrechen) tragen“. Indem keine Namen genannt werden, beschränkt sich die Resolution also nicht explizit auf die Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) und ihren inhaftierten Führer Foday Sankoh, die von der Regierung und ihren westlichen Verbündeten immer als Hauptverantwortliche für Kriegsverbrechen genannt werden. Menschenrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass neben der RUF auch die Regierungstruppen sowie die zahlreichen Milizen des Landes schwere Verbrechen begangen haben.

Dass die Einrichtung des Tribunals von Verhandlungen der UNO mit Sierra Leone abhängt, könnte nun aber ein Problem darstellen. Sollte am Schluss kein UN-Tribunal entstehen, sondern eines, in dem Sierra Leones Justiz die führende Rolle einnimmt, wäre das Tribunal ein Kriegsinstrument der sierra-leonischen Regierung. Das, so fürchtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), könne zu „politischer Manipulation“ führen sowie zu „parteiischen Anklagen und unzureichendem Schutz für Angeklagte“.

Sierra Leones Regierung ist bereits dabei, ihren Einfluss geltend zu machen. Das Tribunal müsse seinen Sitz in Sierra Leone haben, sagte gestern der UN-Botschafter des Landes, Ibrahim Kamara. Ein wichtiger noch zu klärender Punkt ist die Frage, für welche Kriegsverbrechen das Tribunal zuständig sein soll. Das mittlerweile zusammengebrochene Friedensabkommen für Sierra Leone vom Juli 1999 enthielt eine Generalamnestie für vorherige Kriegsverbrechen. Nun ist unklar, ob die UN-Resolution diese Amnestie aufhebt oder nur Vorgänge seit dem Inkrafttreten des Friedensvertrages betrifft.

Nach Ansicht des UN-Botschafters der USA, Richard Holbrooke, sind mit der Resolution Kriegsverbrechen von vor Juli 1999 jetzt justiziabel. Sierra Leones Informationsminister Julius Spencer hingegen will die Zuständigkeit des Tribunals in diesem Zeitraum nur auf jene Kriegsparteien angewandt sehen, die sich seither nicht an das Friedensabkommen gehalten haben. Gemeint ist damit die RUF, deren Angriffe auf die UN-Truppen in Sierra Leone im vergangenen Mai zum erneuten Ausbruch des Bürgerkrieges führten. Die Regierungstruppen hingegen blieben von der Amnestie gedeckt.

Zivilisten auf der Flucht

Die UN-Resolution kommt, während die Lage der Zivilbevölkerung von Sierra Leone sich beständig verschlechtert, auch wegen der andauernden Offensiven der Regierungsarmee gegen die RUF. Der erneute Ausbruch der Kämpfe hat massive Fluchtbewegungen innerhalb des Landes verursacht. Über die Hälfte der 4,5 Millionen Einwohner des Landes leben jetzt in provisorischen Aufenthaltsorten in Sierra Leone oder in Nachbarländern.

Der Krieg unterscheidet nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen. So bedeuten neue Kämpfe schwere Menschenrechtsverletzungen auf allen Seiten, darunter Folter, Vergewaltigung, Zerstörung von Eigentum und Neurekrutierung von Kindersoldaten. Todesopfer fordern sowohl die Gräueltaten der Rebellen wie auch die Angriffe der Regierungsarmee.

Nach Angaben von Human Rights Watch starben im Mai und Juni mindestens 27 Zivilisten bei Luftangriffen des Kampfhubschraubers der Regierungstruppen auf die nördlichen Städte Makeni, Magburaka und Kambia. „Es ist inakzeptabel, dass Sierra Leones Regierung Bomben auf einen belebten Marktplatz wirft in der Hoffnung, eine kleine Anzahl Rebellen zu treffen“, sagte HRW-Mitarbeiter Peter Takirambudde.

Allein in dem Ort Mile 91, der an der Hauptstraße aus der Hauptstadt Freetown in den rebellenbeherrschten Norden Sierra Leones liegt, und der Umgebung leben inzwischen etwa 100.000 Vertriebene, die zum Teil an schweren Tropenseuchen leiden. Da die Straße von Freetown nach Mile 91 umkämpft ist, können diese Leute nur schwer versorgt werden. Die EU hat jetzt Gelder bereitgestellt, um eine Brücke zu reparieren, die eine alternative Route nach Mile 91 öffnen würde.

Auch im Osten des Landes steigt die Anzahl der Kriegsvertriebenen an. Seit der erfolgreichen UN-Operation zur Befreiung der letzten von den Rebellen festgehaltenen UN-Blauhelme in der Stadt Kailahun vor drei Wochen sind 12.000 Menschen aus der Gegend in die südlich gelegene Stadt Daru geflohen, während in der Umgebung schwere Kämpfe im Gange sind. Nach Berichten von Hilfsorganisationen wollen die Vertriebenen mehrheitlich in ihre Dörfer zurück, um Nahrungsmittel anzubauen. Tausende von ihnen schlafen im Freien und leben in einem Umfeld von Angst, Gefahr und Zerstörung.

DOMINIC JOHNSON

CLAUDIA ANTHONY