Rostige Anlagen, hungrige Soldaten

Der desolate Zustand der Armee zwingt den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Handeln

BERLIN taz ■ Es war, als habe Russlands Präsident bereits eine dunkle Vorahnung gehabt. Jedensfalls redete Wladimir Putin bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates über die Situation der russischen Streitkräfte in der vergangenen Woche Tacheles. „Wenn Piloten nicht fliegen und Matrosen aufgrund fehlender Mittel nicht zur See fahren, dann ist die Struktur der Streitkräfte weit entfernt davon, perfekt zu sein“, sagte der Präsident und forderte einen Strategieplan für das Militär bis 2015, der „unseren Anforderungen genügen, aber auch die Kapazitäten unseres Staates berücksichtigen muss“. Und er fügte hinzu: „Das Wohlbefinden unserer Bürger hängt wie die Sicherheit des Staates von der richtigen Lösung ab.“

Wie die wohl aussehen könnte, darüber grübelt nicht nur der amtierende Präsident nach. Auch Putins Vorgänger im Amt, Boris Jelzin, versuchte sich seinerzeit an einer Reform der Streitkräfte – gezwungenermaßen, denn der desolate Zustand der Armee ist seit Jahren offenkundig. Rostende militärische Anlagen, Verzögerungen bei Soldzahlungen, verlauste, hungrige und Amok laufende Soldaten, steigende Selbstmordraten unter Wehrpflichtigen sowie eine wachsende Zahl von Tötungsdelikten von länger dienenden Soldaten an Jungrekruten – das sind einige Beispiele, die den Russen immer wieder schmerzhaft vor Augen führen, was aus der einst so ruhmreichen Roten Armee geworden ist. Dass im Rahmen einer Militärreform Personal abgebaut werden muss, ist bei den Verantwortlichen unstrittig. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte Zahlen, wonach von 2001 an die Truppenstärke von 1,2 Millionen auf 900.000 Mann reduziert werden soll. Unterschiedliche Meinungen gibt es, was den Abbau von Waffen betrifft. Während Verteidigungsminister Igor Sergejew gegen massive Einschnitte bei den Raketensystemen ist, macht sich der Chef des Generalstabs, Anatoli Kwaschin, gerade für diese Idee stark, um so mehr Mittel für Bodentruppen zur Verfügung zu haben.

Derzeit verfügt Russland über 750 Interkontinentalraketen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums müssten die derzeit 6.000 Sprengköpfe auf 1.500 reduziert werden, um den von Russland gemachten Vorgaben für die Start-3-Abrüstungsgespräche zu entsprechen. BARBARA OERTEL