Erben des Kraut

■ Die Briten Appliance arbeiten sich an deutschen Kosmos-Phantasien ab

Als in den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts englische Bands die amerikanische Jugend begeisterten, war die Rede von der „British Invasion“. Manche merkten damals an, dass die musikalischen Wurzeln der Beatles und der Stones in Amerika lagen, im Blues zum Beispiel. „Sie bringen uns unsere eigene Musik zurück“, hieß es dann.

In Deutschland flapsig von Invasionen zu reden, geziemt sich nicht, und auch die Rede von eigener Musik, gar verstanden als nationalem Erbe, darf getrost Projekten wie „Pop 2000“ überlassen werden. Aber lustig ist es schon, wenn die englische Band Appliance von sich sagt, Krautrock sei ein wichtiger Einfluss gewesen. Das ist zunächst einmal zu verstehen vor dem Hintergrund einer Krautrock-Begeisterung, die in England seit den frühen Neunzigern herrscht. Deutliche Zeichen waren etwa Julian Copes Buch Krautrocksampler, eine Londoner Clubnacht namens „Kosmische“ und eine Band, die mit kaum veränderten Neu!-Stücken ihre Karriere begann – Stereolab.

Die Krautrock-Originale zogen sich aufs Land zurück, um sich ganz der Musik und dem Empfangen kosmischer Strahlungen zu widmen; Appliance kommen dagegen sowieso schon vom Land, aus Exeter. Den Abstand zu London, zu Moden und Musikindustrie, finden die drei Endzwanziger auch ganz wichtig. Aber von Kommunen und Kosmischem, von Ekstase und Improvisation wollen Appliance nichts wissen. Wenn schon Krautrock, dann zählen für sie die motorischen Rhythmen von Neu! oder die formale Strenge von Kraftwerk.

Noch lieber orientieren sich Appliance aber an zeitgenössischen deutschen Musikern, die in England in faulen Momenten schon mal als „New Krautrock“ zusammengefasst werden: Im vergangenen Jahr erschien eine EP mit Remixen von Stücken des ersten Appliance-Albums Manual, bearbeitet von Tarwater, To Rococo Rot, Kreidler und Pole. Diese EP mag Appliance auch dazu bewogen haben, für ihr neuestes Mini-Album Six Modular Pieces den Gesang weitgehend wegzulassen und eine warme Monotonie zu suchen, die sie zwischen To Rococo Rot, den ruhigen Momenten von Mogwai und dem Knistern von Pole fanden.

Obwohl auf Six Modular Pieces mehr elektronische Sounds als früher zu hören sind, wird die Musik weiterhin von der Gitarre bestimmt, was manche Kritiker als Unentschlossenheit deuteten. Aber das wird sich vielleicht auch ändern, wenn Appliance vorankommen mit dem Bau ihrer eigenen Instrumente, von dem sie auf ihrer Website (www.tangents.co.uk/appliance) berichten. In der Zwischenzeit kommen sie nach Deutschland und bringen den Krauts gewissermaßen ihre eigene Musik zurück. Oder sollen wir Appliance doch lieber anhand von Post-Rock durchdeklinieren?

Felix Bayer

heute, 21 Uhr, Logo