Die Weser hat Hormonstörungen

■ Die Weser ist sauberer geworden – so die gute Nachricht des aktuellen Wesergüteberichts / Die schlechte: Der Fluss ist hormonell belastet – mit offenen Risiken für Mensch und Tier

Die Weserfische sind weniger verseucht als früher, die Belastung des Flusses durch salzhaltige Abwässer ist deutlich zurückgegangen, der Ausbau der kommunalen Kläranlagen hat zur Minderung von Phosphaten und Ammonium geführt, wenn auch durch die Landwirtschaft nach wie vor zu viel Nitrat in den Fluss gespült wird: Dies sind – kurzgefasst – die guten Botschaften des gestern verbreiteten „Wesergüteberichts“ für das Jahr 1999. Die aktuelle Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft zur Reinhaltung der Weser (ARGE) zeigt jedoch auch, dass dem Fluss neue Gefahren drohen: Endokrin (hormonell) wirksame Substanzen, Hormone und Arzneimittelwirkstoffe, die in großer Zahl im Weserwasser ermittelt wurden.

Die Arbeitsgemeinschaft, der die Bundesländer Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen angehören, untersucht seit 1965 die Wasserqualität des 432 Kilometer langen Flusses, seiner Quell- und Nebengewässer. Die Bremer Probeentnahmestelle befindet sich oberhalb des Weserwehrs in Hemelingen. Jetzt wurde erstmals im Rahmen eines Sonderprogramms nach elf verschiedenen endokrinen Stoffen gefahndet. Sie gehören zur unüberschaubaren Anzahl von synthetischen oder natürlichen Chemikalien, die wie körpereigene Hormone wirken oder deren Wirkung abschwächen. Es wird vermutet, dass diese Substanzen mit dafür verantwortlich sind, dass immer mehr Menschen an Hoden- oder Brustkrebs erkranken. Bei Tieren sollen sie zu „Feminisierungserscheinungen“ führen.

Die ARGE–Mitarbeiter fanden alle elf ausgewählten Substanzen in der Weser. Das Flusswasser war am höchsten mit dem Phytohormon ß-Sitosterol belastet, dass in der natürlichen Umwelt vorkommt, aber auch in der Medizin angewendet wird. Im Schwebstoff wurde vor allem das östrogen wirkende Nonylphenol gefunden, das unter anderem beim Abbau von Industriereinigern anfällt. In den Kläranlagenabläufen dominiert das Anti-Epileptikum Carbamazepin.

Über die „Umweltrelevanz“ der endokrin wirksamen Stoffe herrscht indes noch Unsicherheit bei der ARGE. Möglicherweise sollen einige der Substanzen künftig in den Untersuchungskatalog mit aufgenommen werden. Die weitere Vorgehensweise macht man von einem bundesweit angelegten Untersuchungsprogramm abhängig, bei dem nach insgesamt 60 derartigen Stoffen gesucht werden soll. Die Bremer Senatorin für Bau und Umwelt, Christine Wischer, gab gestern vorab schon einmal folgende Devise aus: Akute Maßnahmen müssten keinesfalls eingeleitet werden.

Wischer, zur Zeit Vorsitzende der ARGE, beschäftigte sich lieber mit den Fischen als Indikator für die Wasserqualität. „Wer hätte vor zehn Jahren geglaubt, dass Weserfische getrost verzehrt werden können“, frohlockte die Senatorin. Ein Blick in den Wesergütebericht verdirbt einem allerdings den Appetit: Einige Schadstoffe im Fettgewebe der Fische seien in Konzentrationen gefunden worden, sich sich bereits in der Nähe der Grenzwerte befunden hätten. Dazu zählen DDT, Lindan und Hexachlorbenzol, außerdem das Insektizid Bromocyclen. Da keiner der Befunde die in der Schadstoff-/Rückstandshöchstmengenverordnung vorgegebenen Grenzwerte jedoch überschritten habe, hat die ARGE keine Bedenken, die Weserfische als Nahrung zu verkaufen. Die Belastungen insgesamt seinen teilweise um den Faktor 10 gesunken. In Bremen hatten Aale und Brassen ihr Muskelfleisch für die Untersuchung hergeben müssen.

Die Weser wird heute insgesamt als biologisch mäßig belastet eingestuft – Güteklasse zwei. Diese Bewertung, die sich auf das Vorkommen bestimmter Kleinstlebewesen bezieht, sagt allerdings wenig über die ökologische Qualität eines Gewässers aus. Wegen der immer noch hohen Salzbelastung durch den thüringischen Kalibergbau kann die Weser schlecht mit anderen Gewässern verglichen werden. Und: Besonders durch die Kanalisierung im Unterlauf wurden ihre natürlichen Strukturen extrem geschädigt. Ein Aktionsprogramm zur weiteren ökologischen Sanierung des Flusses soll im nächsten Monat vorgestellt werden. hase