Glatzen nach Anatolien

Innenminister Schily erwägt eine kostengünstige Lösung des Problems rechter Gewalt

Das Projekt werde rund 550 Mark pro Skinhead kosten – inklusive der 50 Mark Taschengeld für jeden

Kurzzeitig tauchte gestern auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums ein Projektentwurf auf, der mit der Überschrift „Skinheads in die Türkei deportieren“ versehen war. In Stichworten hatte eine bis dahin unbekannte Arbeitsgruppe „Glatzen“ dort dargestellt, wie man wie viele Rechtsradikale nach Anatolien schaffen könne. Nach nicht einmal einer Stunde war die fixe Idee jedoch wieder von der Homepage des BMI verschwunden. Ein Sprecher teilte auf Anfrage mit, das Projekt sei „noch nicht ganz ausgereift“, weshalb man es eigentlich noch nicht habe öffentlich machen wollen.

Die zwölfköpfige Arbeitsgruppe, die sich aus Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes, des Bundesinnen- sowie des Verteidigungsministeriums unter dem Vorsitz von Innenminister Otto Schily und Cem Özdemir, dem Innenpolitischen Sprecher der Grünen, zusammensetzt, habe Überlegungen angestellt, wie man dem Problem „Rechtsradikalismus“ beikommen könne – kostengünstig, pädagogisch wertvoll, parteipolitisch und auch sonst korrekt, so der BMI-Sprecher weiter. Dabei sehe eben eine Idee unter anderen vor, nach dem Vorbild bewährter Sozialreisen für straffällig gewordene Jugendliche als rechtsradikal auffällig gewordene Personen in die Türkei auszufliegen. „Deportierung“ könne man, laut Bundesinnenministerium, diese Aktion allerdings nicht nennen, eher einen erzieherischen Abenteuertrip „nach dem Vorbild des Films ‚Running Man‘ mit Arnold Schwarzenegger“: Im Rahmen der „Skinhead-Land-Verschickung“ (SLV) – so der offizielle Titel – sollen die Rechtsradikalen nämlich auf zehn verschiedenen Flughäfen im Osten und Südosten der Türkei – namentlich in Van, Diyarbakir, Elazig, Kars, Erzurum, Batman, Bingöl, Incirlik, Trabzon und Artvin – ausgesetzt werden. Ihre Aufgabe sei es dann, mit lediglich 50 Mark in der Tasche die knapp 5.000 Kilometer nach Deutschland zurückzulegen. Die Teilnehmer des Programms sollen im Abstand von mehreren Tagen in die Türkei geflogen werden. Ein genauer, komplizierter Zeitplan bleibe jedoch bei der Arbeitsgruppe, damit kein Skinhead auf mögliche Kameraden warte.

Der BMI-Sprecher erklärte, die Türkei sei aufgrund ihrer NATO-Mitgliedschaft eine „Art natürliche Verbündete“, die problemlos ihre Flughäfen für die SLV zur Verfügung stellen könne. Die Regierung in Ankara habe bereits signalisiert, entsprechende Pläne zu unterstützen. Die alte Waffenbrüderschaft zwischen Deutschland und der Türkei, aber auch die Tatsache, dass in der Bundesrepublik mehr als 2,5 Millionen Menschen türkischer Herkunft leben, wiege eben schwer. Den Ausschlag, bei der SLV mitzuarbeiten, habe wohlauch Ankaras Hoffnung gegeben, dass im Gegenzug Berlin die Bestrebungen der Türkei unterstützen wird, in die EU aufgenommen zu werden. Man habe zudem, hieß es aus dem BMI weiter, die Türkei sozusagen erwählen müssen, weil die Rechtsradikalen, die für das SLV-Programm in Frage kämen, beispielsweise in arabischen Ländern mit viel zu großem Jubel empfangen würden, wenn sie dort mit dem erhobenen Arm aus dem Flieger stiegen – ein wenig Strafe sei ja notwendig. Da Ankara in den vergangenen Jahren verschiedene vertragliche Verpflichtungen mit Israel eingegangen ist, dürften die Skinheads in der Türkei nicht allzu freundlich aufgenommen werden.

Grundsätzlich habe sich die Arbeitsgruppe „Glatzen“ bereits auf eine Umsetzung ihrer Idee geeinigt: Die pädagogischen ebenso wie die finanziellenVoraussetzungen seien bereits gegeben. Das Projekt werde rund 550 Mark pro Skinhead kosten, da neben dem Flug, der im Rahmen der normalen Nato-Amtshilfe durch Bundeswehrtransportflugzeuge erledigt wird, nur die 50 Mark Taschengeld zu bezahlen sind. Außerdem könnten die Abenteuer der Teilnehmer von RTL 2 in einer Reality-Soap dokumentiert werden – die Rechte träte die Arbeitsgruppe gegen ein entsprechendes Entgelt ab.

Jetzt muss die SLV-Idee nur noch durch den Bundestag, der dem Projekt allerdings einhelligig zustimmen wird: Es spricht sowohl politisch korrekte Wähler an, als auch jene, die in den Opfern der Rechtsradikalen die Schuldigen für den Rechtsradikalismus sehen. Alle gemeinsam werden ganz sicher befürworten, dass das Problem nicht auf die Eltern oder das soziale Umfeld der Rechtsradikalen abgeschoben wird, sondern auf die Türken. BJÖRN BLASCHKE