PKK-Dissidenten sind auf dem Vormarsch

Immer mehr PKKler sind mit Parteichef Öcalan unzufrieden und wollen aussteigen. Die Chancen auf eine Demokratisierung der Partei sinken

BERLIN taz ■ Ein Jahr lang sah es aus, als würde die PKK den Wandel von der Guerilla zu einer demokratischen Organisation schaffen. Doch damit scheint es erst einmal vorbei. Unter dem Namen „Freiheitsinitiative“ hat sich dieser Tage eine Gruppe von 27 PKK-Dissidenten zu Wort gemeldet, die sich im Mai in die von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) kontrollierten Gebiete um Suleimania absetzte. Sie kritisieren den neuen Kurs der PKK und Parteichef Abdullah Öcalan. „Wir haben uns von der PKK getrennt, weil ihre Politik seit einem Jahr den Anweisungen des türkischen Generalstabs folgt und wir nicht akzeptieren, dass die Kapitulation vor dem Feind als Friedenspolitik und Demokratie verkauft wird,“ heißt es in ihrer Erklärung.

Mit der „Freiheitsinitiative“ nimmt die innerparteiliche Opposition erstmals organisatorische Züge an. Die Dissidenten, unter denen sich prominente Parteikader wie Yildirim Kaya und Sait Cürükkaya befinden, verurteilen vor allem, dass Öcalan so weit geht, die kurdischen Aufstände in der Türkei als das Ergebnis ausländischer Verschwörungen darzustellen, und die PKK neuerdings auf das Selbstbestimmungsrecht der Kurden verzichtet. „Die Mehrheit der Kongressdelegierten [gemeint ist der 7. Parteikongress im Januar dieses Jahres, Anm. d. Red.] hat unsere ablehnende Haltung unterstützt“, heißt es in der Erklärung weiter. Gegen die Mehrheit habe die Parteileitung den neuen Kurs durchgepaukt. Vertreterinnen der vor einem Jahr gegründeten Arbeiterinnenpartei Kurdistans (PJKK), die sich weigerten für den Parteirat zu kandidieren, seien nach dem Kongress festgenommen worden. Weitere 40 Dissidenten sollen in einem verminten Gebiet an der iranischen Grenze gefangen gehalten werden Berichten von Exguerilleros zufolge werden Dissidenten gewaltsam gehindert, die Guerilla zu verlassen. „Ich habe mich nachts weggeschlichen, damit es keiner mitkriegt“, sagt Aso. Zwei Jahre war der Jugendliche bei der Guerilla. Nach dem Rückzug aus dem Nachbarland vergangenen September verbrachte er den Winter in den Qandilbergen. Im Frühjahr wollte er weg. „Dann haben die Posten was gemerkt und auf mich geschossen.“

Tagelang hielt sich der 18-Jährige in Höhlen versteckt. „Nur nachts konnte ich ein Stück gehen, sonst hätten sie mich erwischt und . . .“, er zögert, „mich bestraft.“ Deutlicher wird sein Freund, der sich vor einem Jahr von der PKK-Guerilla abgesetzt hat. „Sie hätten ihn ins Gefängnis gesteckt und so lange bearbeitet, bis er selbst geglaubt hätte, dass er ein Verräter ist.“ Nein, der PKK könne er nichts mehr abgewinnen. „Hunderttausende sind für unser Land gestorben. Und sie verkaufen Kurdistan für einen einzigen Mann.“

Dem will Aso nicht zustimmen. Apo habe viel für die kurdische Sache getan. „Dass die Türkei auf das Friedensangebot nicht eingeht, dafür kann er nichts.“ Einig sind sich beiden, dass viele die Guerilla verlassen würden, wenn sie könnten.

Weiter ungeklärt ist das Schicksal einer Gruppe von Dissidenten, deren Angehörige sich vor einem Monat an die deutsche Öffentlichkeit wandten. Inzwischen haben sich etliche der Vermissten in PKK-nahen Medien wie Meday.TV und Özgür Politika zu Wort gemeldet. Die Authentizität ihrer Erklärungen lässt sich nicht feststellen. Nachdem die PKK-Führung die Nachricht als Teil eines gegen sie inszenierten Komplotts zurückwies, wollen sich die Angehörigen nicht mehr öffentlich äußern. „Zu oft wurden angebliche Verräter umgebracht, die man später als Märtyrer rehabilitiert hat“, sagt ein Dissident.

Unterdessen bezichtigt die PKK-Führung die PUK, dass sie 20 PKKler verhaftet habe, die sie mit den Dissidenten an die Türkei ausliefern wolle. „Von uns wird niemand ausgeliefert“, sagt Kemal Fuad, Mitglied des PUK-Politbüros. „Wir werden nicht dulden, dass die PKK in unserem Gebiet aktiv wird. Aber ausliefern werden wir niemanden.“

Unklar ist auch die Rolle, die PKK-Chef Öcalan in diesem Konflikt spielt. Während er in einem Gespräch mit seinen Anwälten im Juni eine moderate Haltung favorisierte, fordert er in der Monatszeitung Serxwebun härteste Strafen für Dissidenten. Der Führungsrat hat sich für die kompromisslose Haltung entschieden. Für ihn ist Kritik Verrat. Ein Vorwurf, der in Kurdistan tödlich sein kann. INGA ROGG