Unser Harry aus Eimsbüttel

In einem Hamburger Hinterhof wurde das deutsche Gesicht von Englands berühmtestem Zauberer erschaffen. Den Auftrag nahm seine Illustratorin an, weil sie Harry Potter gleich mochte  ■ Von Sandra Wilsdorf

Dass er eine Brille trägt und wuschelige Haare hat, war genauso klar wie seine grünen Augen. Und dass er so schmal ist, lag – na klar – daran, dass er Jahre seiner Kindheit im dunklen Schrank verbracht hat. Auch der Blitz auf seiner Stirn ist Teil der Geschichte. Aber dieser Blick, die hochgezogene Augenbraue, die Harry Potter so schlau und so feinsinnig aussehen lassen und alles, was ihn umgibt, das ist von Sabine Wilharm. Die Hamburgerin hat die deutschen Harry Potter-Bände illustriert, den Zauberer aus ihrem Kopf so aufs Papier gebracht, dass wir jetzt sagen: „Stimmt, so könnte er aussehen.“

Sie ist Illustratorin, und eigentlich war Harry Potter zunächst ein Auftrag wie viele andere. „Der Carlsen Verlag hatte den Zuschlag für die deutsche Ausgabe bekommen und mich angesprochen.“ Wie das halt so geht: Wenn Bücher zu bebildern sind, sprechen Lektoren Illustratoren an, deren Art zu dem jeweiligen Buch passen könnte. So war das auch diesmal. „Ich habe das Buch gelesen, und es hat mir gefallen.“ Das ist für Sabine Wilharm Voraussetzung, einen Auftrag zu übernehmen.

Sie kann sich leisten, Bücher abzulehnen, die sie nicht mag, „die für mich nicht leben“. Das war nicht immer so. Die 45-Jährige musste früher auch schon mal Bücher illustrieren, die ihr nichts sagten. Mit dem Ergebnis war sie selten zufrieden.

Harry Potter mochte sie sofort. Und mag ihn noch immer, kommt richtig ins Schwärmen: „Man wird sofort jünger, wenn man die Bücher liest, man mag gerne in dieser Welt sein, in der es keine Vergeblichkeiten gibt“, sagt sie. Als sie sich 1997 für den Auftrag erwärmte, deutete nichts darauf hin, dass hier etwas anderes als ein hoffentlich gutgehendes Kinderbuch auf ihrem Schreibtisch liegen könnte. Sabine Wilharm freut sich darüber, dass heute eine Hysterie daraus geworden ist: „Das ist ein echter Boom, denn er kommt von den Lesern.“ Sie kann sogar verstehen, dass die Menschen die Bücher so sehr lieben: „Die Geschichten sind reich und sehr tief, alles hat sein Vorgeschichte, die Abenteuer sind logisch.“ Alles hat seinen Sinn.“

Und so hat sie damals „ja“ gesagt und sich daran gemacht, für den ers-ten Roman von Joanne K. Rowling einen Titel zu zeichnen. Dabei ist sie vorgegangen, wie sie es immer macht. Hat sich in den gut gepolsterten Liegestuhl gesetzt und fünf mal fünf Zentimeter kleine Skizzen gemacht. „Das ist der noch nicht offi-zielle Teil.“ Wilharm hat von den Figuren keine visuelle Vorstellung, sondern ein Gefühl. „Es geht über die Verneinung“: Könnte es das sein? Nein. Vielleicht so? Auch nicht. Irgendwann passt dann die Figur auf ihrem Papier zu der Figur in ihrem Gefühl. Dann verlässt sie den Liegstuhl und macht größere und ganz offizielle Skizzen.

Dafür sitzt sie an einem riesigen Tisch in ihrem Eimsbütteler Atelier. Das sieht aus, wie neudeutsche Regisseure sich vorstellen, dass Künstler arbeiten: Ein Hinterhofhaus in Eimsbüttel, Steinfußboden, ein riesiger Raum und überall Licht. Licht durch die riesigen Scheiben vorne und Licht durch das Oberlicht. Und wenn es regnet, hört sich das hier drinnen zehnmal gemütlicher an, als es draußen nass ist. Viele Meter Tisch, noch mehr Buntstifte und sehr viel Papier. Ein sparsam eingerichteter Raum ohne Schnörkel, aber mit viel Platz für Vorstellungen, die zu Bildern werden. Und schließlich zu Büchern, die sich in zwei Regalen bis zur Decke stapeln.

Hier entstehen Sabine Wilharms Werke. Überwiegend sind sie für Kinder. „Mops und Molly Mendelssohn“, eine Geschichte von Sabine Ludwig über zwei Mädchen, die von Vater und Mutter zu Schwestern gemacht werden, ist eines ihrer neueren Werke. Und auch „Schinken und Ei“ von John Saxby, eine skurrile englische Seefahrergeschichte, hat sie illustriert. In diesen Werken, ebenso wie in dem Bilderbuch „Ein Huhn, ein Ei und viel Geschrei“ erkennt man den Stil, der ihrer ist, und den sie sich erarbeitet hat. Ihre Figuren sind lieber skurril als niedlich, zwar liebenswert, aber auf eine eigene, keine süßliche Art.

Als Wilharm 1976 ihren Abschluss von der Fachhochschule Hamburg, Fachbereich Gestaltung, in der Tasche hatte, wollte sie eigentlich „Kunst machen“, hat abstrakt gemalt. Aber sie verlegte sich mehr und mehr aufs Zeichnen, machte Karikaturen für Illustrierte und Magazine, bebilderte Geschichten für das Manager Magazin, für Spiegel, Stern, die Szene. „Aber auf Dauer finde ich Bücher befriedigender.“ Weniger oberflächlich.

Bücher mit Bildern aber gibt es eigentlich nur noch für Kinder, zum Verschenken oder wenn sie besonders kostbar sind. „Ich zeichne gerne für Kinder“, sagt Sabine Wilharm. Selber hat sie keine, hat auch nicht viel mit ihnen zu tun. Aber „ich mag sie gern sehen“. Und sie mag ihre Bücher. „In guten Kinderbüchern ist die Welt zwar nicht sorglos, aber sie auch nicht so voller Sackgassen.“ Wie die Muggel-Welt.

Im Laufe der Jahre habe sie begriffen, was sie für einen tollen Beruf habe. „Es ist wie eine Korres-pondenz mit jemandem, den ich nicht kenne“, im besten Fall ist es eine Befruchtung. Allein fühle sie sich während ihrer langen Tagen an den langen Tischen nie. „Die Arbeit ist nur dann einsam, wenn man selber einsam ist. So empfinde ich es als schön ruhig und konzentriert“.

Deshalb ist der augenblickliche Rummel für sie ein besonders großer Kontrast. Wochenlang hätte das Telefon geklingelt, Medien, von denen sie zum Teil noch nie gehört hatte, wollten Interviews und Bilder. Ganz nett, die vielen Folgeaufträge, aber „sie bringen auch den ganzen Zeitplan durcheinander“. Denn freiberuflich klingt nur nach frei: „Abgabetermine schaffen Disziplin.“

Für den vierten Band von Harry Potter, der in Deutschland am 14. Oktober erscheint, können die LeserInnen im Internet über das Titelbild abstimmen. Sabine Wilharm hat zwei gemacht: Eines in dämonischen Grüntönen, auf dem Harry von Meermenschen umgeben ist. Die Alternative ist kontrastreicher und zeigt Harry mit einem Drachen. Noch bis zum 3. September kann man unter www.harrypotter.de seine Stimme abgeben.

Ob man allerdings im Oktober ein Buch ergattert, ist fraglich: „Die Erstauflage wird zwischen einer halben und einer Million Exemplare haben“, sagt Cornelia Berger, Sprecherin des Carlsen Verlages in Ottensen. Ähnlich viele Bücher sind schon vorbestellt. „Aber wir sind natürlich darauf vorbereitet, sofort die Zweitauflage zu dru-cken.“ Der Erfolg des Buches hat auch den Verlag vollkommen ü-berrascht. Die drei Bände haben jeweils mit einer Auflage zwischen 20.000 und 30.0000 begonnen, inzwischen gibt es insgesamt knapp 2,4 Millionen deutsche Harry Potter-Bücher. Und: „Es gab keine Kam- pagnen, nur ein Lesereise mit Joanne K. Rowling Ende März“.

Dabei haben Autorin und Illus-tratorin einander kennengelernt. „Sie ist sehr sympathisch, hat Ironie“, sagt Sabine Wilharm. Ob ihre Bilder auch die kommenden drei Bände schmücken werden, ist noch unklar. Die Autorin hat sich insgesamt sieben Bände vorgenommen, das Ende des letzten Buches liegt angeblich schon in einem Tresor. Warner Brothers hat die Filmrechte. „Möglicherweise wird auf dem nächsten Cover eine Filmszene zu sehen sein“, sagt Sabine Wilharm. Dann wird es nur noch den amerikanischen Harry Potter geben.

Überhaupt wird der demnächst vermutlich auf deutschen Schulranzen, Kopfkissen und Mousepads auftauchen. Denn Warner Brothers hat auch die weltweiten Merchandising-Rechte.

Das alles ist Marius egal. Er hat irgendwie herausgefunden, wo Sabine Wilharm wohnt und hat ihr einen Brief geschrieben: „Hi Sabine.“ Er fände ihren Harry Potter klasse, aber „krass“ wäre es, wenn sie ihm persönlich ein Harry Potter-Bild malen könnte. Eins, was noch nicht veröffentlicht ist? „Leider“, schrieb die Künstlerin zurück, „wollen die Bilder alle zusammen in einer Kiste bleiben“.