Die Welt der Wundermittel

Die Versprechungen der Lebensmittelindustrie klingen verlockend: Iss dich gesund. Doch die Wirkung „funktionaler“ Lebensmittel ist umstritten. Gute Beratung beim kulinarischen Einkauf tut Not im Dschungel der „natürlichen“ Zusatzstoffe und vermeintlichen „Öko“-Produkte

von VOLKER ENGELS

Die Wiesen erstrahlen in einem kräftigen Grün. Die Kühe bekommen ob ihres glücklichen Daseins das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Zufrieden dreinblickende Schweine signalisieren Gesundheit und Wohlbefinden. Die Werbung der Lebensmittelindustrie verspricht den Verbrauchern Gaumenfreuden ohne Reue.

Die Botschaft ist simpel: Unsere Produkte sind natürlich hergestellt und dienen der gesunden Ernährung. Probiotische Joghurts, in denen sich die Milchsäure rechtsherum dreht, avancieren genauso zum Kassenschlager wie vitaminreiche Energiedrinks oder fit machende Fertiggerichte aus der Tiefkühltruhe. Diese „funktionellen Lebensmittel“ dienen nicht mehr allein der Sättigung, sondern stellen eine Steigerung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens in Aussicht.

Krankheiten, die vor allem durch zu fette und zu einseitige Ernährung entstehen, könnte, so zumindest die Hoffnung, vorgebeugt werden.

Damit ließen sich auch – ein angenehmer Nebeneffekt – erhebliche Kosten im Gesundheitswesen sparen. Um dieses hehre Ziel zu erreichen, arbeiten Biochemiker, Geschmacksdesigner und Lebensmitteltechnologen unermüdlich an neuem Hightech-Food.

Der Aufwand scheint sich zu lohnen: Im Jahr 1999 konnte die deutsche Ernährungsindustrie eigenen Angaben zufolge einen Jahresumsatz von 226 Milliarden Mark vorweisen. Sie belegt damit Platz vier aller Industriebranchen in Deutschland. Die Tendenz, besonders bei den „funktionellen“ Lebensmitteln: steigend. Aber auch das zunehmende Angebot an imageträchtigen Öko-Ecken im Supermarkt belegt, dass der Markt für gesunde Ernährung auch für große Lebensmittelketten interessant wird.

Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) schätzt, dass mittlerweile bis zu 90 Prozent aller gekauften Lebensmittel das Werk von Food-Designer und Aromatiseuren sind. Die Zutaten, die den Nahrungsmitteln beigemischt werden, liegen oftmals unter der Kennzeichnungsschwelle oder müssen laut Gesetz grundsätzlich nicht deklariert werden. Bei Aromazusätzen zum Beispiel genüge der Hinweis „Aroma“, ohne dass die Quellen der Rohstoffe genannt werden müssen, kritisiert die Arbeitsgemeinschaft.

„Die Angebote an angeblich so gesunden Lebensmitteln verleiten die Verbraucher dazu, es sich bequem zu machen und nicht mehr darüber nachzudenken, was sie einkaufen“, meint Angelika Michel-Drees von der AgV. „Ein normaler Joghurt ist genauso gesund wie ein probiotischer – nur billiger.“ Bislang gebe es nur „wenig“ Belege für die positive Wirkung von Vitaminpillen, probiotischen Bakterien und anderen Zusatzstoffen.

Ihr Rat: Viel Obst, Gemüse und Getreide, manchmal Fisch und wenig Fleisch seien den viel gepriesenen Erzeugnissen der Lebensmittelindustrie deutlich vorzuziehen. Und überhaupt könne „alles ein bisschen weniger sein“.

Aber auch den „Öko-Ecken“ der Supermärkte steht sie skeptisch gegenüber: „Die Warenpflege lässt oft zu wünschen übrig“, sagt sie mit Blick das vergammelte Bio-Obst-Sortiment mancher Supermärkte. „Die meisten Bioläden verfügen über ein geschultes Personal, dem man gezielt Fragen zum Angebot stellen kann.“ In den großen Supermärkten sei das oft die Ausnahme.

Auch bei der Vergabe von Gütesiegeln bemängelt die Ernährungsreferentin „fehlende Transparenz “. Bei manchen Markenprodukten würden „Selbstverständlichkeiten“ wie die Einhaltung der Lebensmittelverordnung „geadelt“.

Immerhin: Seit Anfang des Jahres gibt es das erste deutsche einheitliche Öko-Prüfzeichen (ÖPZ), das gemeinsam von der Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau (AGÖL) und der Centralen Marketing Gesellschaft der deutschen Argrarwirtschaft (CMA) vergeben wird. Nur solche Produkte, die den gesetzlichen EU-Bio-Standart und die AGÖL-Richtlinien einhalten, erhalten das Prüfzeichen.

„Über Bio-Ecken in den Supermärkten freuen wir uns, weil damit Werbung für ökologische Produkte gemacht wird“, meint Werner Schauerte. Ganz uneigennützig ist die Freude des Mitinhabers der Kreuzberger Landprodukte Gemeinschaft (LPG) nicht: „Wir sind bedeutend preiswerter als die Supermärkte. Diese Kunden kriegen wir.“

Seine Zuversicht gewinnt der 41-Jährige vor allem aus den steigenden Umsatzzahlen für Produkte aus kontrolliert ökologischem Anbau. Die LPG handelt in fünf Berliner Läden und über einen Lieferservice mit allem, was in Bio-Qualität auf dem Markt zu haben ist.

Das Angebot der großen Supermarktketten betrachtet Schauerte sportlich: „Wir haben gut ausgebildetes Fachpersonal, das die Waren pflegt und die Kunden gut berät.“ Außerdem garantiere der „unglaubliche Durchlauf“ die Frische der Waren. Als Zielgruppe für Öko-Produkte hat der LPG-Chef nicht die zwei Prozent im Auge, die ohnehin im Bio-Laden einkaufen. „Uns interessieren die restlichen 98 Prozent.“ Sobald die entdecken, glaubt Schauerer, dass Bio-Essen „einfach besser schmeckt“, könne man eine neue Käuferschicht erschließen.

Bisher bezahlen rund 3.000 Kunden einen Monatsbeitrag, um in den Genuss preiswerter Artikel zu kommen. Doch das soll sich demnächst ändern: Ab Herbst kann jedermann seine Öko-Pizza bei der LPG kaufen. Garantiert mit Öko-Kontrollnummer. Guten Appetit.

Der Ratgeber „Bio-Kost oder Hightech-Food“ kostet 17,50 (inkl. Porto) und kann bei der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) unter der Telefonnummer 0 29 62-90 86 47 bestellt werden.