pop komm raus . . .
: Man trägt Cowboyhut, Patrice ist beleidigt – und Köln ist eine Discokugel

Willkommen in der Maschine

Erst denkt man, er sei ein Roadie, der die Gitarre stimmt. Aber dann bleibt er sitzen und fängt an zu singen, während hinter ihm die anderen Männer in schwarzen T-Shirts und dunklen Jeans noch Kabel stecken und die Instrumente auf der Bühne umbauen. Mit ein paar Akkorden räumt der einstige Dinosaur-Jr.-Sänger J. Mascis dann aber jeden Zweifel aus, dass er es selbst ist, und für einige Momente ist die Halle dann auch andächtig still und staunt über die unscheinbare Gestalt mit den langen, schon ergrauten Strähnen und der verletzlich krächzenden Stimme.

Solche Momente sind rar bei der Popkomm, wo im steten Fluss des Kölsch alles zunehmend zum weißen Hintergrundrauschen gerinnt – ob nun Console auf der Bühne stehen und an ihren Knöpfchen drehen, während auf einem Bildschirm im Hintergrund Robotermännchen rotieren, oder ein hähnchenbrauner BMG-Manager wie Thomas M. Stein in seiner Rede am Nachmittag Neues von der Urheberrechtsfront berichtet. Oder auch, ob bei der „TV-Gala“ in der ARD die, so Moderatorin Kim Fisher, „Weltmesse“ ihre Weltläufigkeit mit billigem Ballermann-Pop aus Italien beweist.

Dagegen ist das große Eröffnungskonzert im Kölner E-Werk schon fast so etwas wie eine bewährte Traditionsveranstaltung. Auf J. Mascis folgten Saint Etienne, die mit Band und Backgroundsängerinnen die große Glampop-Nummer gaben. Fast konnte man glauben, der „Musikladen“ mit Manfred Sexauer sei wieder auferstanden. Sarah Cracknell sang in Discohosen und mit souveränen Seventies-Posen, und selbst die Lichteffekte waren retro: Rot und grün und blau leuchteten die Scheinwerfer.

Kein anderer Auftritt hat wohl je so gut zu der riesigen Discokugel gepasst, die in der Halle des Kölner E-Werks von der Decke hängt, und ein größerer Kontrast lässt sich kaum denken zwischen dem amerikanischen Indie-Eigenbrötler J. Mascis und der britischen St.-Etienne-Sängerin. Doch die widmete ihrem Vorgänger auf der Bühne später einen Song, „weil ich ihn liebe.“ Manchmal gerät selbst die professionelle Popkomm-Maschinerie aus dem Takt.

Patrice, zum Beispiel, die Reggae-Hoffnung aus Deutschland, sollte eigentlich vor J. Mascis auftreten, solo und mit Akustikgitarre. Als er dann allerdings mit drei Backgroundsängerinnen auftauchte, wurde sein Einsatz kurzerhand nach hinten verschoben. Nach Saint Etienne durfte er dann endlich auf die Bühne, doch hatte er vorher offenbar ein paar Tüten zu viel gedreht. Seine Backgroundsängerinnen – eine Mutter mit ihren zwei Töchtern? – gaben sich zwar alle erdenkliche Mühe, die Sache in Schwung zu bringen, doch Patrice hatte keine Lust mehr. Nach drei Stücken fluchte er, „das ist eine schlechte Organisation hier“, schulterte seine Gitarre und stapfte von der Bildfläche.

Manchmal ist die Popkomm aber auch genau so, wie man sie sich naiv vorstellt: Schon im Zug sitzt Blixa Bargeld, der sich aus dem Bordrestaurant eine Flasche Wein holt und in seinem Abteil Merve-Bändchen liest, am Bahnhof rennt man beinahe Sven Väth über den Haufen, und später sieht man in den Messehallen DJ Bobo im Gespräch mit seinen Mitarbeitern: Unternehmer der Unterhaltungsbranche, incognito.

Vielleicht wird die Popkomm aber bald ganz anders aussehen. Stichwort Medienkonvergenz: In den Messehallen macht sich die Invasion der Dotcoms. bemerkbar – so viele Laptops und Computer wie nie zuvor, es ist die reinste Cebit – und eine frappierende Fantasielosigkeit in der Garderobe: Die Plattenfirma Motor Music hat ihr Promoteam in Gymnastiktrikots gesteckt, alle anderen hatten dagegen für ihre Messe-Hostessen die gleiche Idee – Cowboyhüte. Am Spex-Stand gibt es schon das neue, relaunchte Heft – ab jetzt mit CD, dafür ein paar Mark teurer –, und bei Sony kann man sich durch die Zukunft des Musikkonsums klicken, ab jetzt ohne CD.

Aus dem Internet oder von einer CD aus lädt man sich Musik auf seine Festplatte und kann sie dann per Minichip – mit Namen MagicGate Memory Stick – in einen Walkman schieben, der so groß ist wie ein Kugelschreiber. Kassetten oder andere Tonträger braucht man dafür nicht mehr: Das Medium ist die Musik. DANIEL BAX