„Nur ich allein irgendwo!“

Bei 1,50 Meter Größe muss man erst mal ein passendes Motorrad finden. Seit sechs Jahren reist die Fotojournalistin Petra Gall nun schon auf zwei Rädern durch die Welt. Zuletzt durch Ostdeutschland

Interview PETRA WELZEL

 taz: Du hast einige tausend Kilometer zwischen Rügen und dem Erzgebirge – Rostock und Hoyerswerda eingeschlossen – auf dem Motorrad zurückgelegt. Dein Reiseführer dazu liest sich wie eine Ode an den Osten und seine Landschaften. Probleme mit Rechtsradikalen hat es keine gegeben?

Petra Gall: Nein. Dumpfbacken gibt es überall auf der Welt. Ich hoffe, dass, je mehr unterschiedliche Menschen sich in Ost und West begegnen, sich etwas in den Einstellungen verändert. Vielleicht hilft der Tourismus dabei. Nicht nur neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch zum Austausch von Meinungen beizutragen. Diese Regionen haben sehr viel zu bieten und bringen uns auch dem Osten ein Stück näher. Zum Beispiel in Eisenhüttenstadt, was ja im Reiseführer vorkommt, würde man normalerweise einfach so durchfahren, weil man nur diese Plattenbauten sieht und denkt: Oh, bloß schnell weiter. Aber man sieht eben nicht, was hinter diesen Platten steht, die ganzen Sachen aus den 50er- und 60er-Jahren. Wenn man sich dafür Zeit nimmt und auch für das Dokumentationszentrum, lernt man sehr viel über die Geschichte der DDR. Man trifft auch meistens sehr interessante Leute, die einem total viel erzählen können. Das macht es eigentlich so spannend. Manchmal offenbaren sich Dörfer ganz neu, weil man mit jemandem gesprochen hat, irgendwo auf der Straße.

Bekommt man den Kontakt leichter, weil man auf dem Motorrad sitzt und nicht im geschlossenen Auto?

Im Auto hat man so einen Art Postkartenblick aus der Windschutzscheibe raus. Als Motorradfahrerin hast du immer alles um dich herum. Du fährst praktisch unter offenem Himmel und hast einen anderen Blick und andere Kontakte mit den Leuten. Du bist nicht so abgeschottet.

Vor fünf Jahren hast du Vietnam durchquert. Über kaputte, unbefestigte Straßen, wo kaum ein Tourist langkommt. Streckenweise klingt jetzt auch dein Führer durch Ostdeutschland nach reiner Abenteuer- und Entdeckerlust.

An Ostdeutschland reizt mich, dass auch dort noch vieles ramponiert ist, aber jetzt nach zehn Jahren auch viel wieder aufgebaut wurde und nicht überrestauriert wirkt. Es wurde nicht so viel abgerissen wie im Westen. Man kommt plötzlich in ein Dorf und denkt sofort: Zeitsprung! Da stehen völlig alte Häuser, unter dir ist ein Kopfsteinpflaster, dass du glaubst, dir fallen die Zähne aus. So etwas gibt es im Westen kaum noch. Der ist einfach sehr glatt geworden. Es ist das viele Ursprüngliche, was mich reizt. Dass man das noch so erleben kann, obwohl wir jetzt das Jahr 2000 haben. Und ein Abenteuer ist es ohne Zweifel! Man fährt von einem Dorf zum nächsten, und plötzlich gibt es keinen Asphalt mehr. Nur noch Sand. Das ist natürlich schlecht für die Leute, die dort wohnen. Wenn es regnet und daraus eine Schlammwüste entsteht, ist das furchtbar. Aber für eine bestimmte Sorte Motorradfahrer ist das eben toll.

Was ist denn das wirklich Besondere daran, auf dem Motorrad durch die Lande zu reisen?

Ich glaube, der Körpereinsatz – man fährt ja anders als in einem Auto – und vor allem das Sinnliche. Ich erinnere mich an Zypern, wo ich völlig allein mit dem Motorrad durch eine spektakuläre, kreideweiße Bergwelt kurvte. Das, zusammen mit dem blauen Himmel und den Wolken, war wie ein Flash. Wow! Ich habe gebrüllt, bis ich lachen musste. Das ist ein umfassendes Erlebnis, das man vielleicht noch auf dem Fahrrad hat. Landschaft erleben. Man ist plötzlich mittendrin und ein Teil davon. Das sind visuelle, sinnliche Erfahrungen, die einfach klasse sind. Nur ich allein irgendwo!

Spielt die Geschwindigkeit dabei eine Rolle?

Für mich eher weniger. Ich gucke gerne. Ich brauche Sehreize. Manches gefällt mir so gut, dass ich langsamer werde, auch mal anhalte und zu Fuß rumlaufe. Aber eine tolle Kurvenstrecke heize ich schon mal zurück, um sie aus der Gegenrichtung zu erleben. Zum Schnellfahren wünsche ich mir eine Rennstrecke, auf der mir niemand entgegenkommt und ich mich dem Geschwindigkeitsrausch hingeben kann.

So ein kühler Fahrtwind ist doch im Sommer oder in suptropischen Ländern ganz angenehm, wenn man in voller Ledermontur auf dem Bock sitzt?

In Asien hat es eher die Wirkung von einem heißen Föhn. Vietnam zum Beispiel fand ich erträglich im Vergleich zu Bali. Das war trotz Textilkombi schlimm, bei über 90 Prozent Luftfeuchtigkeit in Sicherheitskleidung, die ich immer trage. Da habe ich gedacht: Bin ich denn bekloppt, hier rumzufahren?

Seit wie vielen Jahren fährst du jetzt schon Motorrad?

Seit 1994. Du siehst ja, wie groß ich bin. Ich konnte den Führerschein erst machen, als niedrige Chopper in den Fahrschulen auftauchten. Und weil ich mit einem Freund von Moskau nach Berlin mit einem Uralgespann und weiter nach Gibraltar wollte, habe ich das gemacht. Danach habe ich meine erste Motorradreisegeschichte geschrieben.

Auf deinen Touren durch die ehemalige Sowjetunion hat es meistens an Sprit gemangelt. Gibt es etwas, was dem Biker im Osten Deutschlands noch fehlt?

Was mich immer wieder erschreckt, sind diese Raser, die ohne Sinn und Verstand fahren. Dass Alleen abgeholzt werden, weil die alle dagegen fahren. Aber die Bäume sind doch nicht schuld. Ansonsten macht mir der Straßenbelag nichts mehr aus, seit ich keinen Chopper mehr fahre. Das war manchmal wirklich unerträglich, aber heute fliege ich mit meiner Funduro darüber weg.

Entgegen allen gängigen Meinungen scheint ja auch das Essen im Osten besser geworden zu sein.

Ich selbst esse gern. Deshalb gebe ich mir auch Mühe, interessante Lokale, vor allem mit regionaltypischen Gerichten, zu finden. In Ostdeutschland war das kein Problem. Und schlecht essen kann man auch im Westen.

Machst du auch mal Urlaub ohne Motorrad?

Nö! Am Strand rumliegen finde ich pottlangweilig. Na klar springst du auch mal ins Wasser, wenn du an einem See vorbeifährst. Aber nicht irgendwo eine Woche in der Sonne brutzeln. Dennoch kommt es vor, dass ich für eine 250-Kilometer-Tour eine Woche brauche, weil es so viel zu entdecken gibt.

Petra Gall: „Zwischen Rügen und Erzgebirge – 15 Touren durch die neuen Bundesländer“. Highlights-Vlg., 19,80 DM