Das Scherbengericht

Tony Patton hat zu einer freundlichen Variante des Dekonstruktivismus zurückgefunden. Seine Band Mr. Bungle spielt heute im ColumbiaFritz

von ANDREAS HARTMANN

Nach dem Konzert von Fantomas, Mike Pattons Allstarband, vor gut einem Monat in Berlin konnte das Sommerloch kommen. Nach diesem Monströsitätenkabinett hätte jeder Live-Gig von einer irgendwie rockenden Band aus Gitarrenhausen wie die Übungssession für einen Auftritt in einem Haarwaschmittelspot gewirkt.

Natürlich war man vorgewarnt, man wusste grob, was einen erwarten würde. Seitdem Mike Patton Faith No More aufgelöst hatte, hatte er ein paar Solokreischplatten auf dem „Tzadik“-Label von John Zorn aufgenommen und hatte des Öfteren auf der Bühne der New Yorker Knitting Factory mit irgendwelchen Noise-Jazzern zu tun. „I am easy“ wie in den Tagen von Faith No More zu schmachten ist etwas ganz anderes.

Und dann gibt es ja noch Mr. Bungle, ein Projekt, dass Mike Patton schon in den Tagen von Faith No More gestartet hatte. Mr. Bungles Debüt erschien 1991 zwar auf einem Major, war aber hierzulande nur als Import erhältlich. So drang nur lückenhaft durch, was sich Patton ausgedacht hatte: Radiozapp-Musik. So schnell wie hier zwischen Country, Heavy Metal, schlagermäßigem Süßstoff und Andeutungen von hymnischen Popsongs hin- und hergefadet wird, kann man seine Synapsen gar nicht in verschiedene Richtungen auf Empfang stellen. Da droht der Kollaps durch akustische Überforderung.

Inzwischen klingen Mr. Bungle nicht mehr ganz so nach Scherbenhaufen der Postmoderne, sondern eher nach Scherbenhaufen der Postmoderne zusammengekehrt. Auf der letzten Platte „California“ wurden verstärkt Beach-Boys-Launigkeiten und andere lustige Tonbasteleien zusammengetragen. Der unmittelbare Schockeffekt durch möglichst scharf geschnittene Breaks scheint nicht mehr ganz das erklärte Ziel zu sein. Doch Frank Zappa in seiner „We’re only in it for the money“-Phase lässt natürlich immer noch grüßen, die Melvins schielen mit irrer Fratze um die Ecke, und Esquivels strange listening stand ebenfalls Pate.

Genauso wenig wie sich endgültig klären lässt, was nun genau der Masterplan von Mr. Bungle sein könnte, erschloss sich einem das Konzert von Fantomas. Da machte King Buzzo von den Melvins den Kaputt-Hendrix, Dave Lombardo von Slayer kickte seinen Blitzkrieg-schnellen Double-Bass und Patton, na ja, Patton schluchzte, winselte, brüllte sich das Weiße in die Augen und zuckte unter Schreikrämpfen.

Alles ging durcheinander, gegeneinander und war wie mit dem Schlachtmesser performed – was natürlich ganz großartig war: Man gewann den Glauben wieder, dass Rockkonzerte immer noch so richtig schön hysterisch sein können.

Heute, 20.30 Uhr, ColumbiaFritz, Columbiadamm 9-11