Ein Mann, platt wie das Watt

Seit sieben Jahren ist er der Geschäftsführer des deutschen Popmusiksenders VIVA: Dieter Gorny. Auf der diesjährigen Popkomm. in Köln redet er und redet und redet . . .

Wenn drei Milliarden Zellen dauerhaft eine Luftverdrängung von zirka zwei Bruttoregistertonnen aufrechterhalten, um nahezu die gleiche Menge heiße Luft vor dem Draußen zu beschirmen, dann kann es sich nur um Dieter Gorny handeln, unter uns Poptheoretikern kurz: Dieter. Dieter ist Geschäftsführer von VIVA, hat 1989 die Musikmesse Popkomm. ins Leben gerufen und gilt als „erfolgreicher Sachwalter der Popmusik“ (Munzinger).

Als Mann von wattplatter Affektstruktur hat er es sich seit sieben Jahren auf seinem Popkommödchen kommod gemacht. Und er hat überhaupt nichts dagegen, von seinen Kritikern als Schnelldenker und Quersprecher, Moment: Schnellsprecher und Querdenker kategorisiert zu werden. „Von seinen Kritikern“ – da haben wir schon oft gelacht, das ist selbstverständlich ein Euphemismus. Eigentlich sollte es Auslacher heißen. So bleibt es beim alarmierenden Zeichen des unaufhaltsamen Niedergangs, wenn Leute wie Dieter Kritiker haben können.

Es ist weniger wegen seiner Zeit als aktiver Kanzlerberater für Schröder in Jugendfragen und so weiter. Es ist vielmehr deswegen, weil Dieter zu der Rotte „notdürftig auf porös geschmirgelter Drecksäcke“ (Holger Sudau) gehört, die „der Jugend“ – was auch immer „die Jugend“ sein soll – gnadenlos die Konsumbedingungen diktieren, um die Echos des dieserart geklonten Stimmungskanonenfutters als realitere Bedürfnisse auszugeben und daraus die Existenzgrundlage eines „Senders“ wie VIVA abzuleiten. In Dieters Diktion transkribiert: den „Service dort anbieten, wo ihn die Zielgruppe abholen will“. So ruft er es Wort für Wort in der vergangenen Woche der Frankfurter Rundschau zu. Und gleich noch was hinterher: „Popstars sind vor allem dann sexy, wenn sie etwas zu sagen haben“, das heißt im Subtext: Ich, Dieter Gorny, bin ja irgendwie auch einer. „Irgendwie“ mag sein. „Einer“ vielleicht auch. Aber Popstar? Ganz gewiss ist er einer der Säulenheiligen der Irgendwiekultur. So besoffen von sich selbst, dass er nie mehr aufhören kann, von sich selbst und von seinem „Lieblingstheoretiker“ Diedrich Diederichsen zu schwadronieren. Nicht ohne zu vergessen, dass wir, „in der aktuellen Debatte um Rechtsradikalismus und die nötige Zivilcourage (...) mehr junge Erwachsene und Jugendliche ansprechen“ müssten. Klar doch, Dieter, machen wir. Oder mach’s am besten selber. Mit VIVA: „Die Käufer greifen häufiger als früher zu Musik aus eigenen Landen, weil sie finden: ‚Die sagt mir mehr, die spiegelt viel eher mein Lebensgefühl wider.‘ “ Genau, den Rechten keinen Raum lassen. Anders und ausgerechnet wieder der Frankfurter Rundschau gesagt: „Sie müssen bei dem Medium, aus dem Sie kommen, ständig zu radikaler Erneuerung bereit sein. Sie müssen in die Horizontale gehen.“ Ja, ja, das horizontale Gewerbe.

Gewiss, Dieter kann auch schon Globalisierung sagen, New Economy und Internet und Start-up. Doch es bleibt die spacke Seligkeit des Begriffslosen. Wo er keine Worte mehr findet, hat er nur noch Pop. Für den Stolz auf die eigene Unwissenheit hat man früher die Provinz verlacht. Das war früher. Und heute ist heute. „Damals transportierte Pop immer auch ein gesellschaftliches Alternativ-Modell.“ Das „immer“ ist todsicher falsch, weil es eben zum Basisvokabular dieser verlausten und von Grund auf verkommenen Kaste gehört, die sich jedem an den Hals schmeißt, der das Sagen hat, oder von dem sie will, dass er das Sagen haben sollte. Für immer. Sie sucht und findet ihr Heil in der Ausschließlichkeit. Mit dem Hass der Konvertiten verdammt sie alle, die das zum Lebensprinzip, nein: Daseinsprinzip erhobene Ablecken von Schröderzigarren noch nicht begreifen wollen.

Und das ist nur der Anfang. Die Welt ist ein einziger Partykeller. Den man später prima zum Hobbykeller ausbauen kann. Aber „auch Börse ist Pop“, erfahren wir – logisch, Dieter, was denn sonst. Und „Pop hat nie etwas bedeutet. Genauso, wie es alles bedeuten kann.“ Wo wir sofort den Ausschalter betätigen würden, findet Dieter nur den Gleichschalter. Die ubiquitäre Beliebigkeit braucht lediglich Beamte, die sie verwalten.

Dieter ist so einer und demzufolge auch Pop. Er kann vielleicht alles bedeuten oder auch nichts. Oder am besten irgend etwas dazwischen. Heiße Luft, zum Beispiel. MICHAEL RUDOLF

Hinweis:Für den Stolz auf die eigene Unwissenheit hat man früher die Provinz verlacht. Das war früher