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: Radiophoner Spaziergang mit Milena (Teil 7)

Danke, DFB, für volle 60 Minuten geschenkte Lebenszeit!

Zur neuen Saison ist Verwirrung von der Naturkundefront zu vermelden: Milena (knapp 2[1]/2) setzt mittlerweile die Wörter „Wald“ und „Fußball“ umstandslos gleich. Nähert man sich einem baumbestandenen Landstrich, ruft sie: „Achtung, Tor!“, und verlangt ultimativ, dass Kopfhörer und Radio gezückt werden – ganz egal, ob es Samstagnachmittag oder Dienstagvormittag ist. Früher musste sie dann allerdings, samstags, für mehr als zwei Stunden Geduld mit dem zerstreuten, da Radio hörenden Papa haben. Das ist jetzt anders. Der DFB hat den Sendern verboten, vor Beginn der zweiten Halbzeit live aus den Stadien zu berichten.

Ein Affront gegen Radiohörer? Eine Premiere-Verschwörung gegen Spaziergänger, Kleingärtner und Autowäscher? Von wegen! Die DFB-Entscheidung bedeutet mindestens 60 Minuten geschenkte Lebenszeit an jedem Samstag! Bisher war es für fußballsüchtige Radiohörer ja genauso wie für die Sat.1-Glotzer: Um an den Stoff zu kommen, musste man die Dealer (Moderatoren) und deren schmutzige Welt ertragen: die Interviews, die Werbung, die Gäste etc. Ab 15.05 Uhr taten sich beispielsweise HR-Hörer, nur um an ein paar Livefetzen aus dem Waldstadion zu kommen, stundenlang grauenhafte Interviews an mit bedauernswerten Studiogästen, wie etwa dem Ersatztorwart des SV Wehen, die Fragen von seltener Dämlichkeit beantworten mussten: „Bayern in Bochum nach acht Minuten immer noch 0:0. Für Sie eine Überraschung?“ Jetzt muss man erst um 16.30 Uhr einschalten und bekommt in 50 Minuten live, was Fernsehkucker in 105 Minuten als Konserve kriegen. Ein klarer Fortschritt.

Nachdem am Freitag die Braunkohle (Energie Cottbus) der Steinkohle (Preussag Dortmund) klar unterlegen war, herrschte am Samstag allgemein Energiearmut: In drei Stadien war die Sache schnell gelaufen. Aber auch, wo es knapp stand, war es langweilig, was der unvergleichliche Günter Koch (1860 – Bremen) zum Ausdruck brachte, indem er gegen 17 Uhr seufzend vermeldete: „Die Zuschauer schauen zur Uhr – noch eine Viertelstunde; sie schauen zur Flasche – die ist schon lange leer [feinsinnige Trapattoni-Anspielung!], und sie bewundern die tadellose Laufleistung des Schiedsrichters. Die Spieler sind alle im Schatten.“ Und als dann doch noch was passierte, war die dramatische Lyrik Günter Kochs wieder mal die beste: „Die Flanke kommt auf Agostinos Heldenbrust, der lässt den Ball abperlen, schaut den Bremer Torwart böse an und drischt die Kugel dann aus neun Metern ins Netz.“

Live vom Mittellandkanal:

OLIVER T. DOMZALSKI