Chaos als konspirative Maßnahme

Vater Staat, Mutter Partei und regelmäßige Durchsuchungen: Zwei Bücher über die Arbeit westlicher und östlicher Journalisten in der DDR verschleiern die damalige Situation mehr, als dass sie sie enthüllen. Auf beiden Seiten mangelt es an Selbstkritik

von CLEMENS SCHÖLL

Die ständige Unordnung in seinem Büro ist eine konspirative Abwehrmaßnahme gegen Wohnungsdurchsuchungen, so steht es in der Stasi-Akte des frühe- ren DDR-Korrespondenten der Frankfurter Rundschau, Karl-Heinz Baum.

Baum ist einer von drei ehemaligen DDR-Korrespondenten, deren Erlebnisse in dem Buch „Drinnen vor der Tür“ versammelt sind. Herausgegeben ist das Buch von Eberhard Grashoff, von 1980 bis zum Ende Sprecher der bundesdeutschen Ständigen Vertretung in Ostberlin, und Rolf Muth, Mitarbeiter der Abteilung Journalistische Beziehungen beim DDR-Außenministerium (MfAA).

Dass und wie sich die Journalisten der vermeintlich allgegenwärtigen Kontrolle durch das MfS entziehen konnten, gehört zu den interessantesten Passagen des Buches. Doch auch eine nicht kontrollierte Berichterstattung gibt nicht unbedingt die Realität wieder. Inwieweit die langjährigen westdeutschen Berichterstatter ihren Teil zur Illusion von der stabilen DDR beitrugen, das beantworteten die versammelten Interviews nicht.

Selbstkritische Ansichten fehlen, etwa die von Michael Schmitz (ab 1988 für das ZDF in Ostberlin), der von einer illusionären westdeutschen Einschätzung der DDR sprach und 1993 behauptete: „Der Staatsratsvorsitzende ist damals von der Bundesrepublik genauso zurückgespiegelt worden, wie er gesehen werden wollte.“ Noch härter formulierte es nach der Wende der damalige Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, Thomas Löffelholz, der schlicht behauptete: „In der DDR-Berichterstattung haben wir uns lächerlich gemacht, vorsichtig formuliert.“

Statt solcher Kritik kommen neben dem Mitherausgeber Muth auch dessen Mitarbeiter Gerhard Meyer und Werner Claus zu Wort. Es mag sinn- und ehrenvoll sein, die Geschehnisse in der DDR nicht nur aus Westsicht zu beleuchten. Dafür aber drei Mitarbeiter der MfAA-Abteilung „Journalistische Beziehungen“ zu Wort kommen zu lassen ist eine unglückliche Wahl: Schon FAZ-Korrespondent Peter-Jochen Winters hatte die Abteilung zu Recht als Briefkastenfirma bezeichnet, zumal alle wichtigen Entscheidungen über die Arbeit der westlichen Berichterstatter im ZK der SED getroffen wurden – doch aus diesem erlauchten Kreis kommt niemand zu Wort.

„Leidiges Thema“ Stasi

Gleiches gilt für die Staatssicherheit. Ohnehin scheinen die Autoren bemüht, das leidige Thema MfS nicht zu sehr in den Vordergrund treten zu lassen.

Wer weiß, wie informativ und unterhaltsam sich die Exkorrespondenten an anderer Stelle zu Wort gemeldet haben, der muss sich zudem fragen, warum ihre Erinnerungen als Interviews erscheinen mussten: Sie lesen sich wie die kleinbürgerlichen Zeugnisse einer Herrenrunde, vereint im Willen, ihre Biografien in der DDR nicht in Frage zu stellen.

Auch Angelika Holterman arbeitet in „Das geteilte Leben“ mit Interviews, auch ihre Arbeit sucht die damalige Situation ihrer Gesprächspartner zu verteidigen. Gesprächspartner, wohl gemerkt, die Parteilichkeit als Grundvoraussetzung des Journalismus betrachteten. Die westdeutsche Autorin übernimmt nahezu widerspruchslos deren Sicht: Die DDR-Kollegen hätten sich in all dem Kleinen, Beschränkten frei und glücklicher als heute gefühlt. Einem nur marginal eingeschränkten Dasein wäre, nach dieser Lesart, eine kurze Periode der Wendefreiheit und anschließend die Unterwerfung unter kapitalistische Strukturen gefolgt. Gänzlich unlesbar wird das Buch allerdings durch seinen küchenpsychologischen Überbau: Vater Staat und Mutter Partei seien dem Interviewpartner Familienersatz gewesen.

Stellvertretende Tränen

Im Nachwort schreibt Holterman, sie habe beim Besuch der Ausstellung „75 Jahre Magazin“ und den unbefangenen Erzählungen der jungen Chefredakteurin sehr viel weinen müssen, sozusagen stellvertretend.

Da bleibt dem stellvertretenden Leser nur die Frage, welches Missverständnis die Hans-Böckler-Stiftung zu einer Förderung dieses Projektes bewogen hat. Vielleicht lag’s an der ständigen Unordnung im Büro.

Eberhard Grashoff, Rolf Muth (Hg.): „Drinnen vor der Tür“. Edition Ost,Berlin, 24,80 DM. Angelika Holterman: „Das geteilte Leben“. Leske + Budrich, Opladen, 54 DM