Die wunderbaren Jahre

Einigen wir uns auf die Zukunft: Auf der Popkomm. diskutierte die Branche über das gute und das böse Internet, neue Promotionmodelle und die Frage, warum Frauen nicht Gitarre spielen können

von GERRIT BARTELS

Es war wie auf einem Hauptseminar für angehende Führungskräfte. Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff, in beigem Anzug und weißem Hemd, aber ohne Krawatte, hielt da in seiner so genannten „keynote speech“, die eher eine Ruckrede war, erst einmal den Ball ganz flach, von wegen digitaler Alltag, „eine kühne Behauptung“; hatte dann die Realität fest im Blick – „wir werden sie nicht mehr stoppen, diese Technologie“ – und gab sich kämpferisch mit der Forderung nach neuen Business-Modellen. Und schloss schließlich die Reihen für eine neue, wunderbare Zukunft: „Ich liebe die Musik, ich liebe die Herausforderung, und ich beneide Sie alle. Sie haben wunderbare Jahre vor sich.“

Dafür gab es dann im übervollen Congress-Saal 2 Applaus wie selbst bei keinem noch so guten Popkonzert, diese Seelenmassage schien nötig. Denn viel war zwar in diesen Tagen auf der Popkomm. in Köln von Aufbruch die Rede, von Chancen und Herausforderungen, doch noch mehr spürte man Verunsicherung, noch mehr war vom Ende der Popwelt, wie die Plattenindustrie sie kennt, die Rede: Digitalisierung – Das Ende der Promotion? Deutscher HipHop-Boom – wie lange noch? Wer zu spät kommt, den bestraft der Markt.

Es klang wie das Pfeifen im Wald, wenn ein Mann wie der BMG-Manager Thomas M. Stein bei der Eröffnung Sätze formulierte wie: „Das Neue wird dem Alten nicht den Garaus machen“, oder: „Den Tag, an dem die Musikindustrie stirbt, wird keiner von uns erleben.“

Den Tag jedoch, der die Musikindustrie von Grund auf verändert und in hellste Aufregung gestürzt hat, hat es schon längst gegeben, Stichwort Napster. Weswegen es sich in den Sitzungsräumen der Halle 13 des Kölner Messegeländes von Middelhoff über Gorny bis zum kleinsten Sony-Angestellten auch niemand nehmen ließ, Napster auf ein Neues unlautere Mittel, professionellen Diebstahl und Piraterie vorzuwerfen. Da wurde auf das „reine Profitdenken“ von Napster verwiesen (meint auch: „gute Majorcompanies vs. böse Internetpiraten), da wurde eifrig an Moral und Rechtsbewusstsein des Musikkonsumenten appelliert, und da wurde dieses auch noch mit Zahlen unterfüttert (28 Prozent aller illegalen Downloader haben ein schlechtes Gewissen, sieh an).

Man war sich also einig, schimpfte hier, beschwörte dort ohne Unterlass die Zukunft, ohne genau zu wissen, was diese noch alles für Unwägbarkeiten bereithält; man stellte legale Modelle wie „Musicdownload 24“ vor, die erste Onlineplattform eines Majorlabels, oder die so genannte DRM-Software, die für Recht und Gesetz beim Runterladen von Musik aus dem Netz sorgen soll; und man machte sich bewusst, dass der Vertrieb für Plattenfirmen ein Auslaufmodell sei und man sich in Zukunft wieder mehr um den Künstler zu kümmern habe und in Ruhe „Themen developpen“ sollte: Ja, ja, deine Mutter – hin zum Netz und dann wieder zurück ins pralle Leben.

Dieses sah auf den anderen, den nicht digitalen Panels dann aber so aus, dass alle sich einfach mal wieder miteinander unterhielten und sagten, was Sache ist, aber nicht wussten, was denn nun die eigentliche Diskussionsgrundlage darstellt. Den Höhepunkt stellte in dieser Hinsicht die Diskussion mit der Fragestellung „Warum können Frauen nicht Gitarre spielen?“ dar. Dort glänzte LiveEins-Chefredakteur Jochen Rausch mit der Erkenntnis, Frauen hätten eben nie Luftgitarre gespielt, und WEA-Geschäftsführer Alexander Maurus erklärte, Männer und Frauen hätten dasselbe Gehirn, nur mit Unterschieden in Stammhirn und limbischem System („habe ich in der Welt gelesen“). Gut, dass Diane Wegmann von den Lemonbabies da war. Die konterte mit Sätzen wie: „Wir sind doch alle Menschen und wollen als solche alle gleich behandelt werden.“

Redete man oben in den Sitzungssälen mitunter solcherart abgründig daher, gab es unten auf den beiden Ausstellungsebenen das typisch bunte und ausgelassene Programm ohne bestimmte Vorgaben außer der, Präsenz zu zeigen. Ein Getümmel von individualistischen Medienmenschen, die vor dem Hintergrund des universellen Betriebs alle gleich wirkten; 924 Stände – manche als große Cyber-Erlebnis-Eldorados gestaltet, manche gediegen designt, andere wieder nur aus zwei Stühlen und einer Wand bestehend –, 200 davon von Firmen aus dem Online- und Multimediabereich.

Geradezu beruhigend dürfte es da wohl für die Plattenbosse gewesen sein, dass sich auch Leute wie die vom BDW-Visa-Band einfanden und ihre bunten Eintrittsbändchen vorstellten („schützt, nicht übertragbar, antiallergisch“), die Firma Pekabo mit ihren CD-Rahmen („Das Ende der Hochstapelei“) oder die Firma Köttgen Hörakustik mit ihren Ohrpassstücken: „Wir machen ,Freisprechen` komfortabel.“ Und wahrscheinlich freuten sie sich auch über einen wie Henry Rollins, der ihnen mit seinem Vortrag „How to survive in the music industry“ den Hofnarren machte.

Rollins disste das Business, seine Geldgier und das Mittelmaß und beschwor die alten Zeiten sowie alte Werte wie Leidenschaft, Liebe und Kunst. Eine Art Gegenentwurf zu den offiziellen Reden sollte das wohl sein. Dieser wurde auch dementsprechend begeistert von den gut fünfhundert Anwesenden auf der Popkomm.-Stage aufgenommen, halt genauso wie Thomas Middelhoffs gleich zweimal ausgesprochenes Bekenntnis: „Ich liebe Musik.“