BUNDESVERFASSUNGSGERICHT ERLAUBT RECHTE KUNDGEBUNG IN HAMBURG
: Kein falsches Signal

Wollte man nur mehrheitsfähige Demonstrationen erlauben, brauchte man das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht. Staatsfromme und zeitgeistkonforme Kundgebungen werden wohl nie verboten. Ein Grundrecht schützt dagegen gerade die Minderheit vor der Mehrheit, die die Gesetze macht und die Verwaltung kontrolliert.

Wenn nun das Bundesverfassungsgericht den Hamburger Rechtsradikalen zumindest eine Mahnwache vor dem Springer-Gebäude erlaubt, so ist das uneingeschränkt zu begrüßen. Es ist kein „falsches Signal“, wie nun manche meinen, sondern genau das richtige Zeichen in aufgeheizter Zeit. Es muss in Deutschland auch weiterhin möglich sein, gegen „hetzerische Berichterstattung“ der Bild-Zeitung zu demonstrieren – egal wer hier demonstrieren will und welche Hintergedanken damit verfolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat damit in einem Klima der undifferenzierten Mobilmachung gegen alle Rechtsradikalen kühlen Kopf bewahrt. Es hat daran erinnert, dass wir in einer freiheitlichen Demokratie leben und dass die Demonstrationsfreiheit zu den Wesensmerkmalen dieser Staatsform gehört.

Solange sich die Rechtsradikalen an die Regeln halten, muss der Staat sie gewähren lassen. Sonst macht sich die Demokratie lächerlich. Nur wenn der Staat glaubhaft macht, dass er zwischen rechter Gewalt und rechter Gesinnung unterscheiden kann, hat er auch eine Chance, die an der Demokratie zweifelnde rechte Jugend zurückzugewinnen. Bewusst ungenaue Parolen wie „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ helfen da nicht weiter. In Hamburg ging es nicht um die faschistische Machtergreifung, sondern lediglich um eine Demonstration, an der Faschisten teilnehmen wollen.

Sollen Rechtsradikale denn jegliche politische Lebensäußerung einstellen? Wer so denkt, landet wie Kanzler Gerhard Schröder oder Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf schnell bei an NS-Jargon erinnernde Begriffen wie „politische Hygiene“ versus „politische Umweltverschmutzung“. Die Demokratie muss gegen undemokratische Ideologien verteidigt werden – aber nicht mit ebensolchen Mitteln. Rechte Minderheiten gehören zu einer multikulturellen Gesellschaft dazu. Also muss man auch ertragen, dass sie sich öffentlich artikulieren, dass sie demonstrieren, Zeitungen herausgeben und Flugblätter verteilen. Wer ihre „Ideologie der Stärke“ zurückdrängen will, sollte sehr vorsichtig sein, dazu den „starken Staat“ und seine Mittel „Verbot“, „Bespitzelung“ und „Rechtlosstellung“ zu benutzen. Es hat der Demokratie noch nie genützt, wenn sie sich ihren Feinden zu sehr annähert. CHRISTIAN RATH