Besser nicht bergen

Die Bergung des Atom-U-Boots gilt als risikoreich: Gefährdet wäre vor allem Norwegens Fischindustrie

OSLO taz ■ Nach den vergebli- chen Bemühungen, Menschenleben aus dem Wrack der „Kursk“ zu retten, rückt vor allem in Norwegen die Frage in den Vordergrund, welche Gefahr von den 400 Brennstäben mit angereichertem Uran an Bord ausgeht. Die „Kursk“ liegt in einem für den Fischfang wichtigen Gebiet.

Allein schon die Möglichkeit des Austritts von Radioaktivität ist daher für die Fischereiwirtschaft, den nach Erdöl und Erdgas noch immer wichtigsten norwegischen Erwerbszweig, eine Schreckensvision. Seit dem Unglück ist Dag Eivind Opstad, Direktor des Fischexportverbandes, damit beschäftigt, Importfirmen und Journalisten zu beruhigen: „Die Barentssee ist noch immer das sauberste Meer auf der ganzen Erde.“

Die norwegische Umweltschutzorganisation „Bellona“ fürchtet, dass sich dies bald ändern könnte. Thomas Nilsen von Bellona: „Zum Glück repräsentiert die ‚Kursk‘ das Modernste in der russischen U-Boot-Technologie.“ Die Reaktoren sollen sich im Unglücksfalle selbst abstellen. Ein natürlicher Kühlwasserkreislauf soll eine Überhitzung des Kerns verhindern. Fraglich sei aber, so Nilsen, inwieweit diese Technik nach der Havarie tatsächlich noch funktioniere und wie lange: „Die Reaktorsektion scheint überschwemmt zu sein. Eventuell existiert dort schon eine hohe Strahlung.“ Falle die Kühlung aus, könne es zu einem erneuten Anlaufen der Kernspaltung und schlimmstenfalls zu einer Kernschmelze kommen. Ein Tschernobyl sei das jedoch nicht, so Nilsen. „Das Barentsmeer ist groß, die Strahlung verdünnt sich schnell.“

Dennoch wäre der Schaden für die Fischereiwirtschaft riesig. Das mussten die norwegischen Fischer zuletzt 1989 erfahren, als das sowjetische Atom-U-Boot „Komsomolets“ im Nordmeer sank und allein die Furcht vor „Strahlenfisch“ den Export in den Keller sinken ließ.

Nilsen warnt davor, das Wrack der „Kursk“ zu heben: „Zwar könnte man dann die Brennstäbe ordnungsgemäß entsorgen, es bestünde aber ein hohes Risiko, dass die Reaktoren bei einem Bergungsversuch wieder anlaufen oder das Wrack beschädigt wird.“ Ähnlich sieht das Ole Harbitz, Direktor des norwegischen Strahlenschutzinstituts. Angesichts dieser Unsicherheiten sei die „Versiegelung“ der „Kursk“ in einer Art Betonsarkophag nach Tschernobyl-Muster zwar nicht ideal, aber die sicherste Lösung.

Bei der „Komsomolets“, so Harbitz, sei vor fünf Jahren ein Versuch der russischen Marine, dies nachträglich zu tun, zwar nicht recht geglückt, aber die liege auch in einer Tiefe von 1.800 Metern – und nicht bei 150 Metern. Die „Komsomolets“ wird wohl jetzt noch Jahrzehnte Radioaktivität abgeben. Dies könne auch das Schicksal der „Kursk“ werden.

Bei der Einschätzung der Folgen herrscht Uneinigkeit. Harbitz: „Vor dem Atomtestgebiet von Nowaja-Semlja liegt sicher noch weit mehr an strahlendem Material im Nordmeer.“ Nilsen von Bellona dagegen meint: „Mitten in wichtigen Fischfanggebieten liegt meines Wissens bislang noch kein tickender Atomreaktor.“ REINHARD WOLFF