„Ich bin der Einzige, der Krach macht“

■ Für Jazzfans ist das KITO bald keine erste Adresse mehr, und auch Radio Bremen schränkt seine Kulturarbeit ein. Bremens bekanntester Jazzer Uli Beckerhoff warnt deshalb davor, die Stadt zur Provinz schrumpfen zu lassen

Die neuen Herren im Vegesacker KITO wollen das Jazzprogramm zusammenstreichen, Radio Bremen spart unter anderem bei den Konzertmitschnitten. Kurzum: Man hat den Eindruck dass sich ein neues Jammertal vor Augen der Bremer Jazzgemeinde auftut. Oder ist die Wahrheit ganz anders, und handelt es sich dabei um ein normales Auf und Ab im Kulturbetrieb? Wir befragten einen, der es wissen muss: den Jazztrompeter und Lehrer an der Essener Folkwang-Hochschule Uli Beckerhoff. Im taz -Interview erinnert der Bekenntnisbremer an frühere Pioniertaten und warnt davor, leichtfertig die großen Stärken der Stadt aufs Spiel zu setzen.

taz: Sind Sie selbst eigentlich im KITO aufgetreten?

Uli Beckerhoff: Ja, mehrmals. Und ich habe da auch viele gute Konzerte gehört. Das hat ja mal als ein Kulturzentrum für Bremen-Nord angefangen. Doch im Lauf der Jahre haben die gerade mit dem Jazzprogramm ein internationales Renommée erworben. Es ist wirklich ein Riesenverlust, wenn dieses Programm jetzt zusammengestrichen wird. Außer dem Moments gibt es dann in Bremen keinen Ort mehr für diese Musik.

Früher gab es den Jazzclub auf den Höfen, bis er geschlossen wurde. Ist es nicht normal, dass Clubs aufmachen, ein paar Jahre bestehen und dann wieder verschwinden?

Das ist klar. Doch es gibt da zwei Modelle. Das eine ist: Da machen Leute aus privater Initiative einen Club auf und subventionieren den oder haben in ganz wenigen Ausnahmen sogar kommerziellen Erfolg. Das KITO hat aber eine andere Bedeutung. Das hat der Staat unterstützt, um in Bremen solche Konzerte zu ermöglichen. Doch die Bereitschaft dafür ist offenbar geringer geworden. Wenn jetzt das Musical „Jekyll & Hyde“ noch mal über acht Millionen Mark bekommen soll, kann ich richtig wütend werden. Da stimmen doch die Größenordnungen nicht mehr. Beim KITO ging es um ein Defizit von 300.000 Mark, zu dem die Jazzkonzerte nur zum Teil beigetragen haben. Im Vergleich zu den acht Millionen Mark sind das doch Peanuts.

Es war nicht der Senat, der den KITO-Geschäftsführer Claus Hößelbarth entlassen hat, sondern der eigene Vorstand. Gibt es Gespräche in der Musikerszene, das Programm des KITO an anderer Stelle wieder aufleben zu lassen?

Das fragen Sie mich!? Nein, davon habe ich nichts gehört. Aber ich kann da nur an alle appellieren, nicht wegen vergleichsweise niedriger Summen leichtfertig etwas so Hervorragendes wie das KITO aufzugeben.

Aber da haben bekannte Musiker oft vor nur dreißig Leuten gespielt. Ist Bremen nicht einfach zu klein für solch ein ambitioniertes Programm?

Manchmal denke ich das auch, wenn echte Weltstars im Moments auftreten und nur hundertzwanzig Leute kommen. Aber es gibt in dieser Stadt ein Publikum für solche Musik, auch wenn es manchmal ein bisschen unbeweglich ist. Ich habe das Glück, dass ich hier ein bisschen bekannt bin, und deshalb trifft mich das nicht so. Aber wenn jetzt das KITO das Jazzprogramm streicht und Radio Bremen bei den Konzertmitschnitten weiter spart, dann sind wir hier mehr Provinz als Oldenburg oder Delmenhorst, die ein Jazzfestival organisieren.

Bei Ihnen hört man im Hintergrund Radio Bremen 2. Wirken sich die Sparmaßnahmen im Sender aus der Sicht des Musikers und Radio-Hörers Uli Beckerhoff schon aus? Den Jingle von Serge Weber spielt der Sender ja noch?

Ja (lacht), der war auch so teuer für Radio Bremen, dass es unmöglich ist, das Ding nach zwei Jahren einzustampfen. Aber im Ernst: Ich bekomme die Einsparungen vor allem im Bereich der Hörspiele zu spüren. Die Redaktion hat es früher geschafft, Bruno Ganz oder Ulrich Wildgruber zu gewinnen, obwohl sie nur lächerliche Honorare zahlen konnte. Also musste das etwas Besonderes sein, da mitzuarbeiten. Heute produziert Radio Bremen immer weniger Hörspiele. Das Hauptproblem bei all dem ist: Es fallen immer mehr Inhalte weg.

Gibt es auch etwas Neues, was an die Stelle tritt?

Das sehe ich zurzeit nicht. Die Entwicklung verläuft natürlich immer in Kurven. Das heißt: Bremen war lange Jahre wirklich attraktiv für Musiker. Das ist noch nicht allzu lange her. Noch vor fünf Jahren war in Bremen extrem viel los im Verhältnis zur Größe der Stadt. Es gab abends bis zu fünf, an den Wochenenden bis zu zwölf musikalische Veranstaltungen. Das war sehr viel. Da konnte man in Dortmund oder in Essen aber lange suchen. Heute wird so etwas wie die Blaue Nacht mit Konzerten in vierzig Kneipen mit Hunderten von Musikern veranstaltet, alles ist umsonst, und das Publikum hört mal hier rein und mal da. Diese Form von Party ist eine neue Entwicklung. Bei Konzerten mit klassischem Jazz – von akustischem Jazz über Bigband zu zeitgenössischer Musik – ist das Publikum deutlich älter geworden, was schon erschreckend ist. Das ist nur anders, wenn es eine Begegnung von HipHop und Jazz gibt.

Muss man daraus nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass diese Musik zu wenig junge Leute anspricht – und das trotz oder vielleicht gerade wegen der Subventionen?

Die Subventionen für das KITO waren doch niedrig, und auch die nicht gerade fürstlich bezahlten Konzertmitschnitte durch Radio Bremen haben nur dazu geführt, dass es zusammen mit den Eintrittseinnahmen möglich war, solche Konzerte in Bremen zu veranstalten. Man muss sich einfach vor Augen führen, was Radio Bremen hier alles getan hat. Al Jarreau spielte bei seiner ersten Europa-Tournee in der Postaula in Bremen-Horn. Keith Jarrett ist hier aufgetreten, und die Eintrittskarten haben fünf Mark gekostet. Heute gibt es im Jazzbereich zwei Entwicklungen: Einerseits spielen wir in den großen Konzerthäusern, in denen auch die Philharmoniker auftreten. Die Musik hat sich also durchgesetzt. Doch andererseits wird es für Nachwuchsmusiker immer schwerer. Gagen wie vor fünfzehn bis zwanzig Jahren gibt es kaum noch, die spielen auf Kasse, und so sind längst amerikanische Verhältnisse eingekehrt. Aber wenn der Humus so austrocknet, kann sich nichts Neues mehr entwickeln.

Bleiben also auch die Studenten aus? Fehlt dem Jazz der Nachwuchs?

Nein, im Gegenteil. Jedenfalls nicht an der Folkwang-Hochschule. Aussagen über den Jazz insgesamt sind so wie die These, dass die Jugend politikverdrossen ist. Also natürlich wird im Jazz immer wieder das Alte aufgekocht. Auf der anderen Seite ist der Jazz aber noch immer fast die größte Weltmusik, die aus allen Bereichen Einflüsse aufnehmen kann. Ich sage meinen Studenten: Macht etwas Neues, habt kreative Ideen, Ihr seid die nächste Generation, die diese Musik in welcher Form auch immer weiterbringen muss. Das ist heute aber eine andere Generation. Wir haben früher zusammen gesessen, getrunken und uns Was-wäre-wenn-Fragen gestellt. Würdest du zum Beispiel in einer Radio-Bigband spielen, war so eine Frage. Und wir haben geantwortet: N-i-e-m-a-l-s. Es gab da eine Grundmoral, und die Musikwelt war anders. Jazz ist wie Fußball. Es ist die Summe von Team und Spirit. Schon bei der WM war die deutsche Nationalmannschaft schlecht, und bei der EM war sie noch schlechter. Doch jetzt kommt jemand wie Rudi Völler, und prompt tritt die Mannschaft anders auf. Das ist auch beim Jazz so, das geht nur gemeinsam. Ich glaube, dass viele junge Musiker den sozialen Kontext in der Musik nicht sehen, und das macht den Unterschied zu meiner Generation aus. Die jungen Musiker treten alle als Einzelkämpfer auf. Jeder will Bandleader sein, wobei ich denen immer sage, das ist der beschissenste Job, den man kriegen kann.

Denken Sie daran, aus der Jazzprovinz Bremen zu verschwinden?

Nein, wenn überhaupt, hätte ich das schon viel früher gemacht. Ich lebe unheimlich gerne hier. Ich könnte auch in Genua wohnen, da gibt es null Jazz. Ich muss nicht da wohnen, wo es eine große Jazzszene gibt. Ich lebe hier, es ist ruhig, der Einzige, der in dieser Straße Krach macht, bin ich.

Fragen: Michael Jungblut, Christoph Köster