Die Karriere eines Zolltores

Das Brandenburger Tor ist ein vielfältig deutbares Symbol. Viele Demonstranten nutzen es als ahistorische Kulisse

Was haben Hanfparade, Love Parade, eine NPD-Demonstration, der Hungerstreik von Thüringer Handwerksfrauen und das Unicef-Kinderfest gemeinsam? Für ihren Auftritt haben sie allesamt das Brandenburger Tor auserkoren. Kaum ein Ort bietet eine solche Projektionsfläche, lässt sich je nach Bedarf zum Symbol für die eigenen Zwecke umdeuten.

Nach der dominierenden zeitgenössischen Deutung ist das Brandenburger Tor das Symbol der Wiedervereinigung schlechthin. Schon weit vor dem Umzug der Bundesregierung wurde es zu einem beliebten Demonstrationsort. Von der Strahlkraft des nationalen Symbols wollten auch Minderheiten profitieren: So sicherten sich die Veranstalter der jährlichen Lesben- und Schwulenparade, dem Christopher Street Day, nach dem Mauerfall aus strategischen Gründen die Route durch das Brandenburger Tor. Es galt, den Ort des Mainstream für sich zu besetzen. Wegen der historischen Bedeutung des Bauwerks war dieser Schachzug in der Lesben- und Schwulenszene jedoch umstritten.

Nach dem Regierungsumzug entdeckte die NPD, dass sich mit Nazi-Aufmärschen am Brandenburger Tor weitaus mehr öffentliche Wirkung erzielen lässt als anderswo. Als die rechtsextreme Partei am 31. Januar 2000 erstmals seit 1945 wieder durch das Tor marschierte, schlugen die Wogen der Empörung hoch. Viele erinnerten sich an den Fackelzug durch das Brandenburger Tor, mit dem die SA am 30. Januar 1933 die Machtergreifung gefeiert hatte.

Innensenator Eckart Werthebach (CDU) verstand es geschickt, die NPD-Demo für eine Einschränkung des Demonstrationsrechts zu instrumentalisieren. Aufgeschreckt durch den NPD-Aufmarsch, stoßen seine Pläne nun auch bei SPD-Politikern auf Sympathie.

Was für eine Karriere für ein Zolltor, das der griechischen Antike nachempfunden ist und einst als repräsentative Durchfahrt für den König diente. Die überwiegende Mehrheit der Demonstranten bedient sich des Symbols Brandenburger Tor heute allerdings auf eine völlig ahistorische Weise.

Erbaut wurde das Zolltor zu Zeiten der Französischen Revolution. Der Bildschmuck in den Nischen der Torbögen – neben dem Kriegsgott sind Athene und Herkules abgebildet – ist als Deklaration gegen den revolutionären Zeitgeist zu verstehen, meinte schon vor Jahren der Kunsthistorischer Helmut Börsch-Supan. Die Einweihung 1791 erfolgte sang- und klanglos, denn der Bauherr und preußische König Friedrich Wilhelm II. schrieb gerade die Pillnitzer Erklärung. Darin versprach er der wankenden französischen Monarchie, ihr notfalls mit deutschen Waffen zu Hilfe zu eilen.

Es sollte anders kommen: Napoleon marschierte 1806 in Berlin ein und nahm als Zeichen der Unterwerfung den Schlüssel des Brandenburger Tores an sich. Auch die Quadriga mit der Siegesgöttin Victoria wurde abmontiert und nach Paris gebracht. Durch diese Schmach wurde das Zolltor zum nationalen Denkmal.

Die Rückführung der Quadriga 1814 geriet zum Thriumphzug, das Tor wurde zum Symbol des Sieges über die Franzosen und zum nationalen Gründungsmythos der Deutschen. Das Tor wurde fortan zur Kulisse der repräsentativen Darstellung des Deutschen Reiches und seines Kaiserhauses.

Die Berliner Republik knüpft daran an: Das Ritual eines Ganges durch das Brandenburger Tor darf bei keinem Staatsbesuch fehlen. Dies findet eine banalisierte Entsprechung in der Verwendung des Tores als medienwirksamer Kulisse: ob Silvestergala oder MTV-Preisverleihung, das Berlin-Wahrzeichen im Hintergrund darf nicht fehlen. DOROTHEE WINDEN