Das Gesicht zur Stimme am Telefon

Über Musik zu schreiben ist wie über Architektur zu tanzen, heißt es. Auf der Popkomm. aber tanzen die deutschen Musikmagazine an – um übers Geschäft zu reden. Repräsentation verdrängt dabei die Inhalte. Und die Musik

von DANIEL BAX
und NICOLA HOCHKEPPEL

Jeder sieht es anders. „Es geht um die Musik, nicht ums Business“, sagt Mari Lussmann. Sie leitet die Anzeigenabteilung der de:bug, und ist damit eigentlich fürs Geschäft zuständig – das ist auch der Grund, warum sie am Stand steht, während die Redakteure der „Zeitung für elektronische Lebensaspekte“ übers Messegelände schwirren, Debattenpanels besuchen oder Freiexemplare verteilen.

Doch das Geschäftliche ist bei de:bug nur Mittel zum Zweck, und der heißt Party. Das de.bug-Team speist sich aus dem erweiterten Freundeskreis der Macher – alle Autoren kennen sich persönlich. Falls man sich aber bisher noch nicht über den Weg gelaufen ist, weil man doch zu weit auseinander wohnt, bietet die Popkomm. zumindest dafür eine Gelegenheit. Um „das Gesicht zur Stimme am Telefon“ kennen zu lernen, wie Mari Lussmann sagt.

Idealistische Projekte wie die de:bug wirken inzwischen fast wie Fremdkörper auf der Popkomm., der „Messe für Popmusik und Entertainment“, die mit den Jahren immer kommerzieller geworden ist. Anders als früher trifft man auf der Popkomm. kaum noch Indie-Labels oder Fanzines. Und Unikate wie der elsässische Liedermacher, der an einem kleinen Stand in irgendeiner Ecke seine privat produzierte und im Eigenverlag herausgegebene CD präsentiert, gehören endgültig der Vergangenheit an. Die Zukunft reklamieren die Internetfirmen für sich, die, meist nur wenige Monate alt, in diesem Jahr schon ein Drittel der Ausstellungsfläche und damit den überwiegenden Teil der oberen Messehalle in Beschlag nahmen.

Über deren Ansatz kann sich Mari Lussmann nur wundern, „weil es ihnen überhaupt nicht um Inhalte geht, um Contents“. Im Vordergrund stehen die Anwendungen, die musikalische Software ist austauschbar.

Um Contents, also Inhalte, geht es auf der Popkomm. tatsächlich allenfalls am Rande. Das dürfte auch der Grund gewesen sein, warum die großen Musikmagazine, der Rolling Stone und der Musikexpress, in diesem Jahr durch Abwesenheit glänzten. Gespräche kann man auch in der Kneipe führen, Geschäfte werden woanders gemacht. Wozu also die teuren Standkosten?

Content, also Inhalt, ist jedoch ein entscheidender Faktor, um auf dem Markt bestehen zu können. Das weiß Thomas Venker, seit Mai neuer Chefredakteur des Gratismagazins Intro, das zwar eine recht hohe Auflage von 120.000 Exemplaren, aber wenig Profil besitzt. Offensiv wird an der Qualität gearbeitet. „Intelligent, aber verständlich“, schwebt Thomas Venker als Blattlinie vor, eine Art Spex fürs Volk. Die Redaktion ist kürzlich von Osnabrück nach Köln gezogen, in direkte Nachbarschaft zur renommierten Konkurrenz, und gab zur Popkomm. ihren Einstand in der Messestadt mit einem großen Konzert, prominent besetzt mit Jimi Tenor und der Hamburger Band Stella. Mit einer Fotoausstellung präsentierte sich das Gratisheft an einem verhältnismäßig großen Stand und fand, dank einer Kooperation mit den Messeveranstaltern, Extraerwähnung auf dem Klappentext im Katalog. Für solche Deals ist freilich die Anzeigenabteilung des Hefts zuständig. Und, betont Thomas Venker, weil bei Umsonstmagazinen ja gern an der redaktionellen Unabhängigkeit gezweifelt wird: Diese Arbeitsbereiche seien „strikt getrennt“.

Solche Berührungsängste sind Norbert Schiegl, Chartsredakteur der Musikwoche, eher fremd. Bei den Fachmagazinen des Phonohandels, der Musikwoche und dem Musikmarkt, regiert ein anderes Selbstverständnis – sie verstehen sich als Hausblätter der Branche, und sehen auch so aus: halb Verlautbarungsorgane der Plattenfirmen, halb Mitarbeiterzeitung des Popbetriebs. Der persönliche Musikgeschmack der Redakteure spielt keine große Rolle, die beiden Magazine bilanzieren ganz nüchtern die aktuellen Marktentwicklungen, informieren über Neuveröffentlichungen und drucken die Charts ab. Das Markenzeichen der Musikwoche ist ein weißes Ledersofa, auf dem Pop-Promis und Plattenmanager abgelichtet und als Dauerserie in jeder Ausgabe abgedruckt werden.

„Extrem eingebunden“ sei er, sagt Norbert Schiegl, schließlich gibt die Musikwoche ein täglisches Popkomm.-Magazin heraus und versuchte sich in diesem Jahr erstmals am Web-TV. Außerdem hat sie diverse Vorträge und Informationsveranstaltungen auf der Popkomm. organisiert.

Nicht zu Musikthemen, sondern zu Fragen der digitalen Clip-Bearbeitung, zu neuen Technologieformaten und zum E-Commerce. „Es geht hier nicht um Musik“, sagt Schiegl über die Popkomm. „Und hier werden auch keine Verträge abgeschlossen. Es geht um Darstellung.“