Putin sprachlos

Marine erklärt Matrosen der „Kursk“ offiziell für tot. Suche nach den Schuldigen beginnt. Angeblich Trümmer eines fremden U-Bootes gefunden. Abgeordneter fordert Untersuchung

BERLIN/MURMANSK taz/dpa/afp ■ Die russische Marine hat offiziell den Tod aller 118 Seeleute des verunglückten Atom-U-Bootes bekannt gegeben. „Alle Sektionen des U-Bootes ,Kursk‘ sind geflutet, und kein Besatzungsmitglied ist am Leben geblieben“, sagte der Stabschef der russischen Nordflotte, Michail Mozak.

In dem gesunkenen Schiff ist in der überfluteten Sektion hinter der Schleusenkammer der erste tote Seemann entdeckt worden. Das berichtete der Fernsehsender RTR vom Unglücksort. Die Leiche solle vermutlich mit Greifarmen geborgen werden.

Der Duma-Abgeordnete Boris Nemzow von der liberalen Union der Rechten Kräfte forderte eine parlamentarische Untersuchungskommission zu dem Unglück. Diese solle die Unglücksursache klären und herausfinden, ob die Regierung und das Militär alles unternommen hätten, um die Seeleute zu retten.

Demgegenüber hielt sich Präsident Wladimir Putin weiter vornehm zurück. Gestern beriet Putin in Moskau mit Regierungsmitgliedern über die Katastrophe. „Wir reden jetzt auch über die humanitären Probleme“, sagte Putin nach einem Lagebericht von Verteidigungsminister Igor Sergejew.

Alle – wenn auch vergeblichen – Fortschritte der Hilfsaktion wurden von norwegischen Spezialtauchern erzielt. Kurz nach Einstellung der ohnehin von Beginn an fast hoffnungslosen Rettungsaktion bat Russlands Regierung das kleine Nato-Land Norwegen sogar, für die Bergung der toten Marinesoldaten aus ihrem stählernen Grab in 108 Meter Tiefe zu sorgen. Nie zuvor seit Ende des Kalten Krieges war wohl für Militärs beider Seiten, aber vor allem auch für die Öffentlichkeit in Russland so augenfällig geworden, wie zerrüttet der riesige russische Militärapparat ist.

Regierung und Generäle müssen nun zusehen, den Schaden zu begrenzen. Diesen Bemühungen könnte auch eine potenziell sehr brisante Meldung zu Grunde liegen: In der Nähe des russischen Atom-U-Boots „Kursk“ will die russische Marine angeblich Teile eines ausländischen U-Bootes entdeckt haben. Dies berichtete die Nachrichtenagentur Interfax gestern aus Moskau unter Berufung auf Militärkreise. Die Teile, die in der Barentssee in 330 Metern Entfernung von der „Kursk“ entdeckt worden seien, stammten vermutlich von einem britischen U-Boot. Russland hat schon mehrfach die Vermutung geäußert, dass die „Kursk“ nach einem Zusammenstoß mit einem ausländischen Boot sank. Das britische Verteidigungsministerium hat Mutmaßungen, ein britisches Schiff könne die „Kursk“ gerammt haben, am Montag entschieden zurückgewiesen. „Wir wiederholen: Kein britisches Unterseeboot befand sich zur Zeit des Unglücks auch nur in der Nähe der Unfallstelle“, hieß es aus London.

Die Familien der betroffenen Seeleute sollen mit insgesamt 54.000 Dollar finanziell unterstützt werden. Zuvor hatte der russische Geschäftsmann Boris Beressowski mitgeteilt, dass Vertreter des Business eine Million Dollar für die Angehörigen der umgekommenen Seeleute gesammelt hätten. bo/rem

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