Die Taktik eines mysteriösen Frauenchors

■ Label Portrait Nr. 8: JARO ist die Bremer Welt viel zu klein. Das Label hat sich deshalb auf Weltmusik spezialisiert, die es nach allen Regeln der Kunst unters Volk bringt. Langjährige Prozesse gehören auch dazu

Eigentlich ist JARO ganz prosaisch die Abkürzung von Jazz und Rock, aber irgendwann hat der Gründer des Labels, Uli Balz, herausgefunden, das dies auch das tschechische Wort für Frühling ist, und diese Bedeutung gefällt ihm natürlich viel besser. Er weiß ganz genau, wie etwas wirkt und mit welchem Namen oder Fluidum sich etwas besser verkauft, aber dazu später. Zuerst die Erfolgsstory des Labels, und die ist schnell erzählt.

Als Mitorganisator eines selbstverwalteten Jugendheims wurde Uli Balz zum Zuständigen für „progressive Musik“. Er organisierte Konzerte, dann Tourneen für die Musiker und produzierte schließlich seine erste Platte mit der finnischen Band „Piirpauke“, die schon Weltmusik machte, bevor es das Wort überhaupt gab. Mitte der 80er zog er nach Bremen und gründete JARO, seine größten Verkausfserfolge waren „der bulgarische Chor, der früher diesen französischen Namen trug“ (O-Ton Balz) und der Cellist Thomas Beckmann mit seinen Einspielungen von Charlie Chaplins Filmmusiken.

Heute arbeitet Balz mit drei fest angestellten MitarbeiterInnen. Die vier Grundsäulen des Betriebs sind CD-Produktion, Tourneeorganisation, der eigene Plattenvertrieb und der Musikverlag. Die Reihe der von JARO betreuten Musiker ist kurz aber fein: „Piirpauke“ ist immer noch dabei, außerdem Jasper van't Hofs „Pili Pili“, das „Moscow Art Trio“, der japanische Trompeter Toshinori Kondo und andere Größen der angejazzten Weltmusikszene.

Wissen Sie übrigens noch, wie der bulgarische Chor damals wirklich hieß? Nein? Darüber kann sich Uli Balz nur freuen, denn er hat zwar die 25 Frauen unter Vertrag und ihre CD „A Cathedral Concert“, die 1987 in der Bremer Kirche Unser Lieben Frauen aufgenommen wurde, war ein Welterfolg. Aber um diesen ganz bestimmten Namen hat er vier Jahre mit einem Schweizer prozessiert, der die fünf Worte hatte patentieren lassen. Der eine hatte den Titel, der andere die Sängerinnen: Das war eine absurde Situation, die Balz viel Geld und den Chor viel Zeit gekostet hat.

Jetzt geht es seit einiger Zeit aber wieder aufwärts mit dem Chor, und das hat er in erster Linie der Findigkeit von Balz zu verdanken. Dieser gibt im Gespräch sofort zu, dass es rein taktisch gedacht war, den Chor im letzten Jahr eine Platte mit rein orthodoxer bulgarischer Musik aufnehmen zu lassen, denn nun wird er plötzlich auch zu vielen Festivals für klassische Musik eingeladen. Davor gab es schon den Chor mit Hiphop-Künstlern, den Chor zusammen mit dem „Moscow Art Ensemble“ und den Obertonsängern der Gruppe „Huun-Huur-Tu“ aus Tuva. Das neueste Projekt sind Aufnahmen des Chors zusammen mit dem italienischen Schlagerstar Adriano Celentano. Der US-amerikanische West-Konzern zahlt für ein zehn Sekunden langes Sample 10.000 Mark – der Chor tanzt offensichtlich auf mindestens einem Dutzend Hochzeiten, und Balz dirigiert ihn dabei mit einem genauen Gespür dafür, was gerade im Schwange ist.

Wenn er Beckmanns Cello-Piano-Duos mit den Kompositionen von Chaplin erst heute auf den Markt bringen würde, wären sie kein großer Erfolg mehr, und die bulgarischen Stimmen passten irgendwie genau in die Mitte der 80er Jahre. Das weiß Balz selbst genau. Woher dieses genaue Gespür für den Zeitgeist bei ihm kommt, kann er aber selbst nicht erklären: „Ich hab dann das Gefühl, das könnte was werden!“ ist alles, was er dazu sagen kann. Dieses Gefühl hat er jetzt bei „Dona Rosa“, einer blinden Fadosängerin („Fado war ursprünglich die Nachrichtenübermittlung von Blinden“). Ab Oktober will er sie auf dem Markt durchsetzten. „Wenn wir Zeit dafür haben, um es richtig zu promoten“, sollte sie ein großer Erfolg werden: „Eine schöne Stimme und eine Geschichte wie ein Märchen.“ So beschreibt Balz selbst seine Verkaufsstrategie.

Er hatte die kleine Frau, die bisher nur in der Fußgängerzone von Lissabon gesungen hatte, durch Andre Heller kennengelernt, der sie für eines seiner Projekte entdeckte. Balz machte nun die erste Platte ihres Lebens mit ihr, im Oktober wird er sie auf Tournee schicken (wahrscheinlich mit der Premiere in Bremen), und er hat inzwischen Kontakte zu solch unterschiedlichen Medien wie dem „Kulturweltspiegel“ und der „Brigitte“ aufgenommen, um die Medienkampagne zu starten.

Jawohl, die „Brigitte“! Als Promoter darf man keine Berührungsängste haben. So erzählt Balz mit sichtlichem Stolz von seinen erstaunlichsten und wirkungsvollsten Mediencoups: Der bulgarische Frauenchor trat damals bei Wim Thoelke im „Großen Preis“ auf, und Thomas Beckmann wurde in der Fernsehshow von Reinhold Beckmann nur deshalb ausführlich vorgestellt, weil dieser sich über die Namensgleichheit so amüsierte.

Solche Gelegenheiten kann man nicht planen, aber durch weitflächige Kontaktpflege und eine sehr angenehme Umgangsart ermöglichen, und hierin liegt ganz sicher einer der Gründe für den Erfolg von JARO.

Nicht alle von Balz betreuten Musiker verkaufen sich so gut. Luis Di Matteo betreut er etwa seit 15 Jahren ohne „richtigen Erfolg“, wie er eingesteht. Aber Balz würde ihn nie aus merkantilem Kalkül aus dem Programm nehmen, denn wenn er von seiner „sozialen Verantwortung den Künstlern gegenüber“ spricht, dann merkt man, dass dies bei ihm alles andere als eine leere Floskel ist.

Wilfried Hippen