Campus mit Zaun

Handys, Autos, Bodyguards: Um Gastwissenschaftler zu schützen, gehen die Universitäten ungewöhnliche Wege

BERLIN taz ■ Ricardo Hermosillas Reise begann mit einer Frage: „Warum gehst du ausgerechnet nach Deutschland“, wollten die chilenischen Kollegen von dem Doktoranden wissen, „da sind doch Ausländer nicht erwünscht.“ Nun kann Hermosilla beim Institut für molekulare Pharmakologie in Berlin begutachten, wie die Situation ist: Wenn die brillanten Köpfe aus dem Ausland den Campus verlassen, treffen sie oft auf tumbe deutsche Schlägerschädel. Und das hat sich herumgesprochen in der vernetzten Welt der Wissenschaft. „Vor allem Mitarbeiter mit dunkler Hautfarbe sind besorgt“, sagt Florian Müller-Plathe, der eine internationalen Gruppe am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz leitet.

Vor allem die ostdeutsche Wissenschaft kennt das Problem: Fremdenfeindliche Vorfälle sind fast alltäglich. In Leipzig hetzen junge Rechte ihren Hund auf einen indischen Wissenschaftler. Die Uni Erfurt stellt dem Islamistik-Professor aus Pakistan ein Auto zur Verfügung – zum Schutz vor Pöbeleien. In Frankfurt (Oder) teilt das Institut für Halbleiterphysik mit, dass „einer unserer Wissenschaftler körperlich angegriffen wurde“. In der gleichen Stadt gehen die polnischen Studenten der Europauni nur in Gruppen aus und reden in den Bussen nie Polnisch. Die Realität mancher Green Card ist tiefbraun.

Dabei wären gerade in Ostdeutschland die Bedingungen ideal, dass sich multinationale Forscherteams in den Labors drängeln: An der Europauni kommen schon jetzt 40 Prozent aller Studierenden aus dem Ausland. Auch die neu gegründete Uni Erfurt und die Uni Magdeburg setzen auf internationale Studiengänge. In den letzten zehn Jahren wurden in Ostdeutschland 20 neue Max-Planck-Institute (MPI) gegründet – zu deren Geschäft es gehört, über Gastwissenschaftler internationale Kontakte zu knüpfen.

Umso verheerender ist es für den Wissenschaftsstandort, wenn Gastakademiker als Erstes im Stadtplan einige Viertel braun umkringeln. „Wir sehen mit großer Sorge, dass ausländische Wissenschaftler unsere Einladungen zunehmend mit Zögern oder Ablehnung beantworten – weil sie sich in unserem Land nicht sicher fühlen“, warnten kürzlich die Leiter von 88 Instituten in einem offenen Brief.

Auch die Max-Planck-Gesellschaft fürchtet um Deutschlands Ruf: Der internationale Wettbewerb um erstklassige Wissenschaftler habe sich verschärft, sagt Bernd Ebersold, der bei der Max-Planck-Gesellschaft für Außenbeziehungen zuständig ist. Weltoffenheit und Toleranz seien wichtige Standortfaktoren, die die Umworbenen bei ihrer Wahl beeinflussen.

Das Problem ist erkannt. Allein, wie es zu lösen ist, darüber schütteln Rektoren wie Wissenschaftler eher ratlos die Köpfe. Frankfurt (Oder) versucht es mit Volksnähe: Uni und Institute nehmen ihre ausländischen Mitarbeiter mit in die Schulen. An vielen Häusern pappen Schilder, die Verfolgten einen Noteingang anbieten: eine Idee linker Jugendlicher, die nun auch von Firmen aufgegriffen wird.

Die Europauni Viadrina in Frankfurt (Oder) bittet zur Begrüßung ihrer internationalen Studenten und Lehrenden neuerdings die Polizei hinzu. Der Tipp, welche Orte man in der Stadt an der polnischen Grenze besser meidet, gehört zur Studienberatung. Das MPI in Gatersleben hat seine Gastforscher mit Handys ausgerüstet.

Andere Unis und Institute versuchen es mit Isolation: einen Mikrokosmos zu errichten, in dem der ausländische Kollege zwischen Gästehaus und Campus pendelt, abgeschirmt von springerstiefeltragenden Rechten. Das Berliner Wissenschaftszentrum Adlershof zum Beispiel bringt ausländische Akademiker entweder direkt auf dem Gelände unter oder, 15 Busminuten entfernt, im eigenen Appartementhaus mit Strand und Flussblick. Stefan Müller, Vizerektor der Uni Magdeburg, plädiert für „sichere Unterkunft und persönliche Betreuung, notfalls einen abgeschlossenen Campus“.

Handys, Autos oder eine Wohnung weitab der ostdeutschen Realität seien freundliche Gesten, meint der chilenische Doktorand Ricardo Hermosilla. „Aber auf lange Sicht werden die Wissenschaftler nur bleiben, wenn sie sich willkommen fühlen – auch außerhalb der Unis.“

COSIMA SCHMITT