Die Wut auf Präsident Putin wächst

Die Angehörigen der „Kursk“-Opfer wollen nicht wahrhaben, dass wirklich alle Seeleute bei der U-Boot-Havarie umgekommen sind. Für sie ist Russlands Präsident der Hauptschuldige an der Katastrophe. Heute ist in Russland Staatstrauertag

aus Murmansk KLAUS-HELGE DONATH

Jekaterina Waleranzewa hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Sie glaubt noch, dass im Rumpf der gesunkenen „Kursk“ einige Seeleute überlebt haben. Ihr Mann Wladimir wurde erst im letzten Moment auf das Unglücksboot abkommandiert.

Viele Offiziere in der Garnison Widjajewo, meint Frau Waleranzewa, hielten die Todesnachricht für übereilt und den Abbruch der Rettungsarbeiten für unverantwortlich. „Keiner glaubt den Offiziellen“, meint sie. „Es gibt dort Luftlöcher, und wir Russen sind stark, wir glauben an Gott.“

Mit sieben anderen Frauen aus der Garnison machte sie sich auf den Weg nach Murmansk. Die Frauen hoffen, ihr öffentlicher Appell werde die Regierung bewegen, die Suche nach Überlebenden wieder aufzunehmen. „Die Aktion wurde abgebrochen, weil die Norweger zu viel Geld verlangen“, behauptet sie.

Heute herrscht Staatstrauer in Russland. Waleranzewa ist dagegen. „Staatstrauer bedeutet bei uns, am nächsten Tag wird alles vergessen.“ Inzwischen ist auch Präsident Wladimir Putin am Nordmeer eingetroffen. Presse und Öffentlichkeit lassen kein gutes Haar mehr am Kremlchef und halten ihm vor, die Wahrheit vertuscht und überdies keine Anteilnahme gezeigt zu haben.

Der ehemalige Vizepremier und Gouverneur von Nischni Nowgorod, Boris Nemzow, fällte im Fernsehen ein entlarvendes Urteil: „Putin mag die Menschen nicht. Deswegen kann er die Tragödie und ihr Leid auch nicht nachempfinden.“ Daher wird es der Nachfolger von Boris Jelzin, der sich unters Volk mischte und Tränen vergoss, wenn es die Situation verlangte, sehr schwer haben, sollte er es wagen, den Angehörigen persönlich zu kondolieren. Bisher heißt es, Putin werde heute auf einem Kreuzer an der Unglücksstelle den Opfern die letzte Ehre erweisen.

Keine Journalisten, nicht einmal vom staatlichen Fernsehen, sind zugelassen. Die Feier veranstaltet die Presseabteilung des Kreml unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das beweist, wie unsicher man sich in der Präsidialkanzlei ist. Die Scharte des PR-Desasters seit der Havarie lässt sich auch durch geschickteste Fälschungen nicht auswetzen.

Die 31-jährige Ira Belosorewa aus St. Petersburg hatte ihren Mann Nikolaij, Kapitän 3. Ranges an Bord des verunglückten Bootes. Die hagere Frau ist gefasst. Ihrem zehnjährigen Sohn Alexej hat sie indes noch nichts gesagt. Auch sie hegt eine vage Hoffnung, ihr Mann in Schotte fünf, die nicht überflutet wurde, könnte überlebt haben. „Putin“, sagt sie, „zeigt keine Anteilnahme, die Politiker denken nicht an uns.“ In Widjajewo sei die Stimmung schlecht. „Kommt Putin, spuckten ihm die meisten ins Gesicht.“ Nur wenn ihn Alexej II., Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche begleitet, würde ihn das vor Ausbrüchen bewahren.

Alle sehen in Putin den Hauptschuldigen. Viele Männer könnten noch am Leben sein, hätte er sofort reagiert. Denn in der Garnison wusste man schon am Unglückstag um 17 Uhr, wenige Stunden nach der Katastrophe, Bescheid. Frau Belosorewa ist entschlossen, solange in Widjajewo zu bleiben, bis man ihren Mann gefunden hat. In der Flottenführung hofft man unterdessen, dass der öffentliche Druck langsam nachlässt. In zwei, drei Tagen, sobald die trauernden Familien Widjajewo verlassen haben, so ein Militärsprecher, würde sich der Protest legen. Blanker Zynismus und menschenverachtende Ignoranz. Erst am Vorabend hatte der Kommandeur der Nordflotte, Popow, im Fernsehen um Vergebung gebeten: „Vergebt mir, dass ich die Jungs nicht gerettet habe. Die Crew trug an dem Unglück keine Schuld.“ Am Ende des Auftritts lüftete Popow sein Käppi, reichte aber nicht den Rücktritt ein. Gerüchte besagen, sein Kreuzer „Peter der Große“ könnte in das Unglück verwickelt gewesen sein.

Die norwegischen Taucher sitzen auf gepackten Koffern. Nach Ansicht der Norweger ist die Havarie wahrscheinlich durch die Explosion eines Torpedos ausgelöst worden, was der offiziellen Version von einer Kollision mit einem unbekannten Objekt widersprechen würde. Auch der Kursker Gouverneur General a. D., Alexander Rutskoi, vermutete, an Bord der Kursk sei eine neu entwickelte Waffe detoniert. Das würde auch erklären, warum das Militär Rettungsmaßnahmen vereiteln wollte.