Für und wider Underground

■ Interview mit Fatih Akin: Im Juli ist ein Spielplatz, eine Waffe, ein Deal ...

Mit kurz und schmerzlos überraschte Fatih Akin 1998 die kleine deutsche Filmwelt, die es sich im hysterisch-überspannten Komödienstadl so urgemütlich eingerichtet hatte. Da war plötzlich einer, der auf der Klaviatur des Kleingangs-tergenres virtuos zu spielen wusste, seinen Scorsese verdammt gut gelernt hatte – und vorzüglich den „Vorzeige-Türken“ geben konnte. Alle hatten ihn lieb und es schien bisweilen, als interessiere seine Staatsangehörigkeit mehr als der Film. Nun ist mit dem märchenhaften Roadmovie Im Juli sein zweiter Langfilm in den Kinos angelaufen. Tim Gallwitz traf Fatih Akin auf der Piazza in Ottensen.

taz hamburg:Als Kameramann für Im Juli hast du Pierre Aäm gewinnen können, der auch Hass von Kassovitz fotografiert hat. Von daher hätte ich einen hart-realistischen Look erwartet und auch sozusagen eine härtere politische Gangart.

Fatih Akin: Wegen Hass – einer der besten Filme, den ich kenne – bin ich auf Pierre gekommen. Er wird auch meinen nächsten Film fotografieren. Mit kurz und schmerzlos bin ich aber bereits in diese Richtung gegangen. Ich will mich nicht wiederholen und nicht auf ein Genre festgelegt werden. Film ist auch ein Spielplatz für mich und Im Juli ein Experiment oder Bruch.

Wenn Scorsese Pate stand bei kurz und schmerzlos, wer ist Pate bei Im Juli, Emir Kusturica?

Klar hat mich Kusturica beeinflusst. Mit Branka Katic, die die Luna spielt, habe ich ja auch eine Kusturica-Schauspielerin dabei. Für die Story haben mich Shakes-peares Sommernachtstraum und auch die griechische und türkische Mythologie, zum Beispiel die Reise von Odysseus oder die Märchen aus 1001 Nacht, inspiriert. Ach, Tim und Struppi nicht zu vergessen. Pierre und ich haben versucht, ein wenig von dieser bildlichen Naivität einzufangen. König Ottokars Zepter, dort die Situation mit Syldavien und Bordurien, ist zum Beispiel Pate für die Sequenz an der ungarisch-rumänischen Grenze.

Im Juli geht schleppend los. Die ersten zwanzig Minuten in Hamburg plätschern so daher und erst wenn der Film „on the road“ geht, kriegt er Drive. Wie kommt's?

Naja, bevor sich Moritz verliebt, hat er ja auch ein verdammt langweiliges Referendarsleben ... Es stimmt, dass der Held letztlich erst auf seiner Reise aktiv wird. Ab der Raststätte auf der A7 fängt dann ein neuer Film an. Ja, o.k., vielleicht werden Akins Helden erst zu spät aktiv ...

Nervt das eigentlich, der Türke vom Dienst zu sein?

Ja, klar. Da kämpfe ich auch gegen an. Und Im Juli ist auch eine Antwort auf dieses Vorzeigetürken-Dasein. Ich will nicht andauernd in Talkshows über die doppelte Staatsbürgerschaft reden – da hat Cem Özdemir einfach mehr drauf –sondern den deutschtürkischen Film aus seiner Nische holen.

Aus der Nische der Kleinkriminellenrollen, Dönerbuden und Dealerstorys?

Ja, man muss da schon aufpassen. Die sogenannten Ausländer werden im Krimi regelrecht benutzt. Deshalb kann man im deutschtürkischen Krimigenre nicht stehen bleiben. Die Generation davor hat mit Filmen wie 40 qm Deutschland vor allem auf Betroffenheit gemacht. Mit Im Juli möchte ich aus all diesen Festlegungen raus. Man muss versuchen, seiner Zeit voraus zu sein. Im Juli ist da auch eine Waffe, nämlich Akzeptanz und Sympathie zu schaffen und die Liebe zu Emigrantenkindern zu zeigen.

Ein Nazi-Anschlag jagt den nächsten. Was ist eigentlich mit den Deutschen los?

Also Ausländerfeindlichkeit findest du überall auf der Welt. Hier guckt man eher wegen der NS-Geschichte darauf. Trotzdem ist es gut, dass das Thema in den Medien jetzt so präsent ist. Allerdings, wenn man überlegt – Solingen ist schon sieben Jahre her – und was ist in den Jahren passiert, um die Rechten einzudämmen? Es wird höchste Zeit, mit solchen Leuten radikal umzugehen.

Fühlst du dich persönlich bedroht, zum Beispiel vom Nazi-Aufmarsch letztens in Altona?

Sicher fühle ich mich bedroht, bin dauernd beunruhigt. Ich war bei der Gegendemo, ist ja Pflicht. Natürlich gehe ich auf die Straße, auch wenn ich da von der Polizei eingebuchtet werde, wie neulich. Aber man muss auch zeigen, dass das Zusammenleben funktioniert. Hier im Kosmos Altona geht das, hier haben die Deutschdeutschen keine Probleme damit, da schöpfe ich auch draus.

Idil Üner und Mehmet Kurtulus sind großartig, sozusagen die heimlichen Stars des Films. Warum haben die beiden nicht die tragenden Rollen?

Die beiden sind fantastisch. Deshalb spielen sie in meinen vorherigen Filmen ja auch Hauptrollen. Aber um den deutschtürkischen Film aus der Nische zu holen, war es wichtig für mich, die Hauptrollen mit deutschdeutschen Schauspielern zu besetzen. Moritz Bleibtreu und Christiane Paul sind außergewöhnliche Schauspieler. Und ich wollte mit ihnen arbeiten. Sagen wir mal so: Ich biete deutschdeutschen Schauspielern große Rollen und jetzt erwarte ich, dass die deutschdeutschen Regisseure auch die deutschtürkischen Schauspieler groß besetzen. Das ist der Deal. Mal sehen, ob die Deutschdeutschen annehmen ...

Interview: Tim Gallwitz

Start: 24.8.; am 28.8., 20 Uhr, Abaton in Anwesenheit des Regisseurs, anschließend (22.30 Uhr) läuft Fatih Akins Wunschfilm Bonnie & Clyde