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: HELMUT HÖGE über Kampf-Kritik-Umgestaltung

Sich an Vorwürfen verheben

Früher ging der Vorwurf – jedenfalls auf den taz-Plena – von einer Fraktion zur anderen, wobei ich immer das Gefühl hatte, einer Minderheit anzugehören. In Deutschland ist den Linken diese Position sowieso vertraut. Deswegen ja auch der ständige Vorwurf – z. B. gegen Ströbele, Fischer, Koenigs: dass sie da rauswollten, dass sie den „Erfolg“ suchten – und auch fanden: ausgerechnet in einer Partei, mit der sie weder theoretisch noch praktisch etwas am Hut hatten und die sie dann auch noch führten! Auf den taz-Plena konnte ich – meine eigene zeternde Stimme nicht mehr hören. Stattdessen versuchte ich das, was mir wichtig schien, in Texten unterzubringen.

Im Laufe der Zeit wurde ich allergisch gegen jedwede Vorwurferhebung – von Politikern, Schriftstellern, Wirtschaftsführern etc.: Wie sie ständig mahnen, aufrufen, warnen . . . Das hat etwas Widerliches! Gerade jetzt wieder die Promi-Parade gegen den Terror von rechts: Dabei sind all diese Prominenten doch gerade der Grund für diesen Terror. Sie sitzen in Binz oder Kampen, denken sich bei Sekt und Austern eine werbewirksame Kampagne nach der anderen aus, rülpsen leise und fahren dann laut röhrend in ihr Hausprojekt. All das kann den gemeinen Jungarbeitslosen schon in den Wahnsinn treiben. Aber wenn sie dann auch noch direkt gegen ihn hetzen, da hört die Gemütlichkeit selbst beim friedliebendsten Neonazi auf.

Und dann auch noch diese ganzen Salbaderer wie Thierse und die Chefkommentatoren von FAZ, Zeit, Welt etc. Wie die sich das Leben sauber eingerichtet haben, das wissen wir ja. Sonst hätten wir schon längst irgendetwas Schlickiges ans Tageslicht gezerrt. Wahrscheinlich sind sie sogar alle anständig verheiratet. Eine falsche Bewegung und du bist Vater!

Es gibt Tage, da kann ich mich da richtig reinsteigern – und diesen ganzen Vorwurfsvollen mit schwersten Anwürfen kommen. Dummerweise hält sich dieser Ton dann in der Kolumne über mehrere Folgen. Was sage ich: der dauert so lange an, bis die Festplatte bricht.

Was manchmal dagegen hilft, ist Haschisch. Oder ein neuer Anzug und eine weite Reise. Am besten alles zusammen. Dann klappt es auch wieder mit der Nachbarin. Und nicht der leiseste Vorwurf liegt mehr in der Luft. So was geht aber natürlich nicht lange gut. Wer in Deutschland nicht kritisiert, mäkelt, nörgelt und sauer ist, ist ganz einfach ein Idiot. Die Nackenschläge lassen auch nicht lange auf sich warten: Erst verlier ich mein Adressbuch und dann klaut mir jemand meine Brieftasche – vor den Schönhauser Allee Arkaden. Die Tage darauf, während ich mich schon auf diverse Behördengänge einstelle, schau ich mir die dort wuselnde Menge vornehmlich junger Wahl-Prenzlberger genauer an. Und irgendwann sehen sie alle aus wie kleine gemeine Wölfe – mit fiesen Fressen. Das soll kein Vorwurf sein! Im Internet fand ich gerade unter „german lexicon/vorwurf/lefunc“ den folgenden Eintrag: „erhebt den Vorwurf/erhob Moldova erneut Vorwürfe/erheben in einem offenen Brief schwere Vorwürfe/erhebt Helmut Höge Vorwürfe“. Einerseits ist so ein Eintrag schmeichelhaft, andererseits die totale Bankrotterklärung – jeder anständigen Lebensführung.