Balkanien statt Balkonien

Nur die Liebe zählt: „Im Juli“ zeigt Moritz Bleibtreus Wandlung vom Warmduscher zum Draufgänger. Fatih Akins romantisches Road-Movie ist vor allem eine Comic-Komödie

Muss Liebe schön sein. Juli ist eine hippieske Schmuckverkäuferin (Christiane Paul mit schwarzen Rastazöpfchen!), die auf einem Gemüsemarkt in Hamburg Ringe und anderen Ethno-Tand verkauft. Zur Verwunderung ihrer Freundin – und der Zuschauer – verliert sie ihr Herz an den etwas unbeholfenen Lehrreferendar Daniel (Moritz Bleibtreu), der dort regelmäßig vorbeistolpert. Der aber erwidert ihre Zuneigung nicht, sondern verliebt sich Hals über Kopf in eine Türkin, die ihm eines Abends auf einer Party über den Weg läuft. So blöd kann Liebe manchmal sein.

Und so verschlungen die Umwege, bis die Richtigen zueinander finden: Spontan entschließt sich Daniel, bisher ein risikoscheuer Spießer, seiner Zufallsbekanntschaft quer durch Balkanien nachzureisen, nach Istanbul, statt wie geplant seinen Urlaub auf Balkonien zu verbringen. An der Einfahrt zur Autobahn gabelt er noch kurz eine Tramperin auf – ausgerechnet Juli, die ihrem durch den doofen Daniel bedingten Herzschmerz entfliehen will. So weit die recht holprige Ausgangslage, die sich Fatih Akin für sein romantisches Road-Movie zurechtgelegt hat.

Den passend zurechtgezimmerten Handlungsrahmen schmückt Akin mit Pointen aus, die sich sowohl von hanseatischem Kiffer-Humor wie türkischen Slapstick-Comedys gefärbt zeigen. Das hat seinen sympathischen Charme – etwa als Juli dem biederen Daniel auf der Fähre seinen ersten Joint anbietet –, ist manchmal aber auch bloß bodenlos albern: etwa als es zur Heirat der beiden am Schlagbaum kommt, weil der rumänische Grenzposten (Fatih Akin in seinem schon obligatorischen Cameo-Auftritt) unmissverständlich bedeutet: „No Passport, No Romania.“ Bei anderen Episoden auf dem Balkan scheint indes Emir Kusturica Pate gestanden zu haben. So taucht Branka Katić, bekannt aus dessem letzten Film „Schwarze Katze, weißer Kater“, bei Akin als Taschendiebin auf – fast schon eine Reminiszenz, obschon „Im Juli“ sich nicht auf das Tempo von Kusturicas turbulentem Balkan-Schwank heraufschwingt.

Christiane Paul und Moritz Bleibtreu mühen sich nach Kräften, die reichlich unwahrscheinliche Liebesgeschichte mit Leben zu füllen. Doch warum die beiden am Ende ihrer Odysee zueinander finden, bleibt nicht ganz nachvollziehbar – eigentlich sind sie sich die Fahrt über zunehmend auf die Nerven gefallen. Auch Daniels wundersame Wandlung vom Warmduscher zum Draufgänger muss man ohne weitere Erklärung einfach mal so hinnehmen: Da hat der Drehbuchschreiber Fatih Akin am psychologischen Profil gespart, wo der Regisseur Fatih Akin einfach nur auf die originelle Wendung aus ist.

Egal. Dass die merklich ausgedachte Konstellation die Darsteller zu Comic-Figuren degradiert, stört nicht weiter, denn als Comic-Komödie funktioniert „Im Juli“ über weite Strecken ganz gut. Seltsam nur, dass gerade die türkischen Protagonisten wie Karikaturen daherkommen: Idil Üner als fremder, am Timmendorfer Strand anatolische Volkslieder trällernder Engel (das bedeutet Melek, ihr Name), und Mehmet Kurtulus als unter Hochspannung stehender, scheinbarer Finsterling Isa – das ist freundlicher Folklorismus, wie ihn Hark Bohm auch nicht besser hinbekommen hätte, und sicher nicht die Revolution des bisheriger Rollenstereotyps im deutschen Film. Stattdessen wird hier ein Klischee durch ein neues ersetzt: Auf Wiedersehen, Problemtürke, hier kommt der coole Happy-go-Lucky-Kanake.

Nach seinem dunklen und pessimistischen Debütfilm „kurz & schmerzlos“ wartet Fatih Akin nun mit einer etwas versöhnlicheren Botschaft auf: Alles wird gut. Am Ende sitzen die vier Hauptpersonen in einem Wagen und machen sich auf gemeinsame Fahrt ins Unbekannte. Daniel, der wegen Melek immerhin durch halb Osteuropa gereist ist, hat seinen Fehlschlag erstaunlich schnell verwunden. Und Isa scheint es Daniel nicht zu verübeln, dass er ausgerechnet seiner Freundin bis nach Istanbul nachgestellt hat. Bei aller Liebe: Das ist dann doch ein wenig viel der Harmonie. DANIEL BAX

„Im Juli“; Regie: Fatih Akin. Mit Christiane Paul, Moritz Bleibtreu, Idil Üner Mehmet Kurtulus, Branka Katić u. a., BRD 2000, 100 Min.