Lustvolle Sadistinnen

Pornografische Bilder weiblicher Unterwerfung werden stets nach dem gleichen Schema entziffert. Jetzt durchkreuzt das Mainstream-Kino die Klischees von weiblichem Opfer und männlichem Täter

von ELISABETH BRONFEN

Nichts gehört so eindeutig der Privatsphäre des Menschen an wie seine intimen Sexualphantasien. Gleichzeitig gibt es kaum ein anderes Thema, das so hartnäckig und so allgegenwärtig von unserem öffentlichen Bildrepertoire in Umlauf gesetzt wird wie sittliche Tabus überschreitende Darstellungen des erotisierten Körpers. Dabei stellt sich immer wieder von neuem eine Frage, die so alt ist wie die sexuelle Einbildungskraft selbst: Ist Pornografie das mächtigste und greifbarste Ausdrucksmittel für die Unterdrückung der Frau in der zeitgenössischen Kultur? Und benötigt man das Gesetz, um diese entwürdigende Praxis zu kontrollieren, weil Pornografie und reale Gewalt gegen Frauen immer zusammen gedacht werden müssen?

Von einem ungebrochenen Verhältnis zwischen Produzenten und Rezipienten pornografischer Darstellungen ausgehend, fordert die amerikanische Rechtsphilosophin Catherine MacKinnon, erotisierte Bilder der Unterwerfung mit unterwürfigen Handlungen gleichzusetzen. Zwischen dem, was man sieht – so ihr Plädoyer für Zensur –, und dem, was man tut, bestehe eine zwingende Kausalität.

In der gleichen Veröffentlichung (Drucilla Cornell (Hg.): „Feminism and Pornography“, Oxford University Press, 2000) hält ihr die Politologin Drucilla Cornell entgegen, man sollte den imaginären Bereich, aus dem unser pornografisches Bildrepertoire stammt, als einen moralischen und psychischen Freiraum verstehen. Dort sollten gerade auch Frauen ihr erotisches Phantasieleben ungehemmt entwerfen können, um über ihre sexuelle Identität selbstständig zu entscheiden, anstatt sich einer fremdbestimmten Definition zu unterwerfen. Einer Forderung nach Zensur hält Cornell deshalb den Anspruch entgegen, diesen imaginären Bereich auszubauen statt einzuschränken, da er jegliche kulturelle Identifikation nachhaltig prägt.

So entwirft die Autorin Susanna Moore in ihrem Roman „Aufschneider“ die Geschichte einer New Yorker Linguistik-Dozentin, deren Versuch, ein Wörterbuch des zeitgenössischen pornografischen Slangs zu erstellen, dazu führt, dass sie den erforschten Gegenstand auch am eigenen Leibe erprobt – dafür wurde sie von der Presse heftig angegriffen. Die explizite Darstellung sexueller Begegnungen, die im Verlauf der Handlung immer gewalttätiger werden und schließlich in einem Rite de Passage münden, in dem die Erzählerin selbst Opfer eines Lustmörders wird, löste Empörung aus. Die radikale Selbstentgrenzung der Heldin erschien manchen wie die Neuauflage der aus dem traditionellen pornografischen Bildrepertoire bekannten Festlegung der weiblichen Figur auf einen uneingeschränkt sexuell verfügbaren und verletzbaren Körper.

Selbsterhaltung und Selbstverschwendung

Dass gerade die Regisseurin Jane Campion sich vorgenommen hat, diesen Roman mit Nicole Kidman in der Hauptrolle zu verfilmen, lässt nun aber vermuten: Die unliebsame Verschränkung von Unterwerfung und Beherrschung im sexuellen Akt könnte durchaus auch einer Erweiterung der traditionellen Bildsprache des weiblichen Begehrens dienen. Hatte Campion doch bereits in ihrem Film „Portrait of a Lady“ jene unsaubere Schnittfläche zwischen Verführbarkeit und Verfügbarkeit im Phantasieleben ihrer ebenfalls von Nicole Kidman gespielten Heldin ausgeleuchtet. Obgleich die Verhaltenheit der Darstellung diesen Film über jeden Pornografie-Verdacht erhaben macht, ging es Campion auch dort um den traumatischen Kern erotischer Phantasiebilder: darum, dass der Reiz, aber auch die Bedrohlichkeit der Sexualität eben darin begründet liegt, dass alle Beteiligten über sich verfügen lassen müssen. In Fragen der Verführung gibt es nie klare Täter- und Opferpositionen, sondern nur ein kompliziertes, überlagertes, sich gegenseitig einbeziehendes Changieren zwischen aktivem Genuss und passiver Hingabe an das Begehren des anderen.

Die Anforderung, die unsere Sexualität an uns stellt, besteht darin, dass wir sowohl bemächtigt wie auch ohnmächtig sind, ebenso von einem auf Selbsterhaltung gerichteten Lustprinzip geleitet wie von einem Drang nach Selbstverschwendung. Jane Campions Heldin Isabel Archer träumt davon, sich gleichzeitig drei Männern hinzugeben, doch sie fällt in Ohnmacht, nachdem der sadistische Gilbert Osmond (John Malkovich) ihr sein Begehren ins Ohr geflüstert hat. In ihrer Inszenierung des weiblichen Masochismus fordert Campion eine Erweiterung des imaginären Bereiches, der in der bedingungslosen Abhängigkeit vom anderen einen Genuss entdecken lässt. Catherine MacKinnons Befürwortung einer strengen Reglementierung pornografischer Bildwelten hingegen will im Bereich erotisierter Phantasiebilder nicht nur keine eigenständige weibliche Sprache der Sexualität anerkennen. Ihr Plädoyer für den Eingriff des Gesetzes in kollektiv vertriebene Sexualphantasien deckt sich zudem mit den Argumenten der amerikanischen Zensurbehörde, die Stanley Kubricks Film „Eyes Wide Shut“ erst freigaben, nachdem die nackten Körper bei der klandestinen Orgie im Haus eines reichen New Yorker Politikers wieder verdeckt wurden.

Natürlich geht es der feministischen Theoretikerin nicht vordergründig um die Sittlichkeit des amerikanischen Bürgertums, sondern um den gesellschaftlichen Stellenwert von Frauen. Wenn weibliche Sexualität nie unabhängig von einer aufgezwungenen Definition gelebt, beschrieben oder empfunden werden kann, dann existiert ihrer Meinung nach die Frau nur als lebendige Verkörperung der auf sie von Männern projizierten Bedürfnisse. Mit dieser Argumentation ahmt MacKinnon jedoch unfreiwillig genau die Reduktion des weiblichen Subjekts auf eine Objektposition nach, der sie mit ihrer Forderung nach Zensur eigentlich begegnen will. Wie die etablierte Pornoindustrie räumt auch sie der weiblichen Handlungsfähigkeit im erotischen Imaginären keinen eigenständigen Platz ein.

Als habe er bewusst eine Ergänzung zu Campions „Portrait of a Lady“ herstellen wollen, hat Stanley Kubrick mit seinem letzten Film, der ursprünglich den Titel „The Female Subject“ tragen sollte, diesen Bereich erotischer Phantasiebilder ausgebaut. Seine ebenfalls von Nicole Kidman gepielte Alice nimmt bei ihm die Position des Sadisten ein. Auch sie bringt durch ein Geständnis – in diesem Fall die Beichte einer ehebrecherischen Phantasie – ihren naiven Gatten (Tom Cruise) dazu, die Fassung zu verlieren. Anstatt in Ohnmacht zu fallen, halluziniert er die pornografische Bebilderung ihrer Beichte. Doch Kubrick inszeniert noch einen weiteren brisanten Aspekt des pornografischen Imaginären: dass nämlich das weibliche Subjekt sowohl die Stelle derjenigen einnehmen kann, über die verfügt wird, wie auch derjenigen, von der das ganze Phantasieszenarium erst ausgeht.

Während Tom Cruise sich in ein abgelegenes Haus zu einem geheimnisvollen Sexualritual schleicht, träumt Nicole Kidman ebenfalls von einer Orgie. Im Gegensatz zu ihrem Gatten erlebt sie jedoch den sexuellen Akt, den er nur betrachten kann, genauso wie ihr seine öffentliche Erniedrigung im Traum einen sadistischen Genuss bereitet. Damit erlaubt Kubrick die Spekulation, dass Tom Cruise’ Erfahrung jener Szene, die von der amerikanischen Zensur beanstandet wurde, der Phantasiewelt seiner Gattin entstammt.

Umschrift des Porno-Szenarios

In der Art, wie sowohl Jane Campion als auch Stanley Kubrick die Schauspielkraft Nicole Kidmans im Mainstream-Kino einsetzen, zeigen sie Wege auf, wie sich das weibliche Subjekt produktiv auf riskante Experimente mit einer Umschrift des konventionellen pornografischen Szenarios einlassen kann. Dabei machen sie auch deutlich, dass die feministische Kritik am pornografischen Imaginären eine statische Wiedergabe des dem sexuellen Verhältnis eingeschriebenen Streites der Geschlechter darstellt. Davon auszugehen, dass der Mann immer die Frau unterdrückt und dies zudem immer ein sie schmähender und demütigender Akt sein muss, bedeutet nämlich auch, der Frau keine inneren Ressourcen zuzubilligen, die ihr erlauben würden, ein eigenständiges, von männlicher Dominanz unabhängiges erotisches Phantasieleben zu entwickeln. In den Filmen, in denen Nicole Kidmans Körper eingesetzt wird, um erotische Phantasien bei sich selbst, ihren Mitspielern wie auch dem Kinopublikum auszulösen, wird hingegen eine ambivalentere Sichtweise deutlich: Innerhalb dieser Inszenierungen wird die Identifikation der Betrachtenden gerade nicht auf eine Position festgelegt. Sie bieten stattdessen die Möglichkeit einer überkreuzten Identifikation an, die gerade jenes von anti-pornografischen Argumenten vorausgesetzte eindeutige Verhältnis von weiblichem Opfer und männlichem Täter in Frage stellen. Dass dieses schillernde Identifikationsangebot von manchen verleugnet wird, lässt darauf schließen: Es ist möglicherweise viel beunruhigender, sich die eigene Identifikation mit dem Unterdrückenden einzugestehen als mit dem, der unterdrückt wird.

Gerade weil es dem Bereich der Imagination angehört, besteht der Effekt eines pornografischen Szenarios eben nicht darin, die Frau mit einer untergeordneten Position gleichzusetzen. Wie Kubricks Alice mit der Erzählung ihres Traumes andeutet: Die erotische Inszenierung bietet der Erzählerin wie der Betrachterin durchaus die Möglichkeit, sich mit dem gesamten Szenario zu identifizieren – mit der Entwürdigung und Unterwerfung wie mit dem Triumph eines aktiven, aggressiven Aktes.

Hinzu kommt, dass der Umstand, sich als Betrachtende mit der Position der Verfügten zu identifizieren, ja auch einen bewussten Entschluss und somit eine selbstständig gewählte Identifikation voraussetzt. Zwischen einem moralisierenden Blick, der das Bild mit der Handlung gleichsetzt und es verbieten möchte, und einem zynischen Blick, der das Bild gänzlich aus einem weltlichen Bezug zu lösen sucht, könnte man vermittelnd sagen: Pornografie im Mainstream-Kino fordert uns dazu auf, über eine differenzierte Art des Betrachtens nachzudenken. Gerade weil die Produktionen der Pornoindustrie wie die Argumente ihrer Gegner diesen freieren Blick verhindern wollen, muss man immer wieder darauf hinweisen, dass es mehr als eine Art des Betrachtens gibt. Auf multiplen und offenen Möglichkeiten der Identifikation zu beharren bedeutet, dem einengenden Schutz der Frauen vor der imaginierten Brutalität männlicher Sexualität eine Erkundung und Neudefinition von Sexualität entgegenzuhalten.

Wie Drucilla Cornell treffend bemerkt: Selbst redlich gemeinte Gesetze bringen eine Anpassung ans Gesetz mit sich. Von einer Erweiterung des pornografischen Szenarios hingegen können wir uns eine Bewegung jenseits dieser Anpassung versprechen.

Mit Elisabeth Bronfens Essay setzen wir eine lose Folge von Texten fort, die sich mit der Darstellung von Pornografie in verschiedenen Medien befassen, ihrer Vermarktung und veränderten Bedeutung in den Diskursen von Mainstream und Underground. Zuletzt schrieb Georg Seeßlen über den post-pornografischen Blick (taz vom 27. Juli).