Die politische Jagd auf Sündenböcke hat begonnen

Die Opposition prangert den quasi sowjetischen Regierungsstil des Kremlchefs an. Kommunisten und Rechtsextreme haben in den Liberalen die wahren Schuldigen ausgemacht

MOSKAU taz ■ Die erste schwere politische Krise seit dem Machtantritt von Russlands Präsident Wladimir Putin entwickelt sich für sein Regime zu einer ernsthaften Katastrophe. Immer lauter wird die Kritik am Kreml. Zuerst prangerten die einzigen wirklich oppositionellen Kräfte in der russischen Duma den quasi sowjetischen Regierungsstil an, den Putin und sein Team bevorzugen: Die Union der Rechten Kräfte (SPS) und die liberale Partei „Jabloko“ kritisierten die Geheimhaltungspolitik der Regierung, die zu lange gezögert habe, bevor sie Fachleute aus dem westlichen Ausland zu Rettungsarbeiten hinzugezogen habe. Insgesamt 37 unabhängige ökologische und Menschenrechtsorganisationen forderten den Präsidenten auf, alle an dem Unglück schuldigen Beamten zur Rechenschaft zu ziehen. Als die Empörung über die Unfähigkeit der Armeeführung und Regierung sich in der Bevölkerung breitgemacht hatte, brachen auch solche Politiker ihr Schweigen, die Putin bislang vorbehaltlos unterstützt hatten.

Der mächtige Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow kritisierte zuerst vorsichtig die Verzögerungstaktik der Militärs. Denjenigen, die sich aus Angst oder Respekt vor Putin nicht zu dem Unglück äußerten, drohte eine politische Blamage. Kommunistenführer Gennadi Sjuganow, der es offensichtlich nicht wagte, Putin direkt zu kritisieren, blies zur politischen Jagd auf Sündenböcke. „Die wichtigste Ursache der Tragödie“, sagte der Kommunist, „ist der zerstörerische liberale politische Kurs, der während der vergangenen zehn Jahre in Russland gefahren wurde.“

Der Rechtsaußen Wladimir Schirinowski, der immer treu zu den Mächtigen im Kreml steht, fand noch passendere Sündenböcke als sein kommunistischer Kollege. Schirinowski gab die Schuld für die Katastrophe den liberalen Politikern von SPS und Jabloko und damit nicht zufällig genau denjenigen, die der Kreml ob ihrer lautstarken Kritik sowieso lieber heute als morgen mundtot machen würde. Die führenden Vertreter von SPS und Jabloko müsste man ins Gefängnis stecken, ließ sich Schirinowski vernehmen.

Die Kreml-nahen Medien gehen indes noch weiter. Ständig wiederholt der staatliche Fernsehesender RTR in seinen Nachrichtensendungen die Version der Marineführung, wonach die „Kursk“ von einem britischen oder US-amerikanischen U-Boot absichtlich gerammt und dabei versenkt worden sei. Um die eigene Unfähigkeit zu vertuschen, versucht der Kreml, wie so oft in der russischen und sowjetischen Geschichte, die antiwestliche Hysterie zu schüren.

Doch dieses Bemühen verfängt nicht mehr. Die Öffentlichkeit gibt die Schuld für die Tragödie eindeutig dem Kreml. Schon schreiben kritische Zeitungen vom „Kursk“-Gate. Nachdem Vize-Premier Ilja Klebanow gestand, dass die Regierung bereits am Tag nach dem Unglück Bescheid gewusst habe, wollen nun die Verwandten der umgekommenen Seeleute das Verteidigungsministerium, Regierung und den Präsidenten vor Gericht stellen. BORIS SCHUMATZKI