Kleiner Alltag Weltgeschichte

■ Krieg, Vertreibung, Kleinstadtgespräch: Die Theatergruppen „Stacja Szamocin“ und „Das letzte Kleinod“ zeigen ihr neues Stück „km 14,7“ jetzt in Bremen und umzu

Irgendwo in der polnischen Pampa, der Ort heißt Szamocin und liegt 70 Kilometer nördlich von Poznan. Die „Stacja Szamocin“, eines der handverlesen-wenigen freien Theaterprojekte Polens, bereitet ein neues Stück vor. Es ist das Kleinstadtgespräch, fast ein Skandal. „Warum“, fragt jemand aus dem Dorf die Theaterleute, „macht ihr etwas über die Volksdeutschen. Wir sind doch die Opfer.“

„km 14,7“, so der Titel der Inszenierung, ist in der Tat ein Stück überVolksdeutsche. Und ein Stück über PolInnen, KatholikInnen, JüdInnen und ProtestantInnen ist es auch. Denn Szamocin ist – wie so viele Städte und Dörfer im Osten Europas – ein Ort mitten im Grenzland. Und wenn man da ein bisschen unter der Oberfläche stochert, wie es „Stacja Szamocin“ zusammen mit der KünstlerInnengruppe „Das letzte Kleinod“ aus der norddeutschen Pampa und dem Bremer Historiker Achim Saur getan haben, kommt meistens etwas zu Tage. Neben eigentümlichen Begriffen gehört auch so manche Verwechslung dazu: In den vier jungen, auf dem historischen Plakatfoto abgebildeten Frauen erkannten Leute aus Szamocin alte Bekannte wieder. Doch das Bild stammt definitiv aus Norddeutschland. So sehen sich Opfer und Opfer zum Verwechseln ähnlich.

Seit Juli sind „Stacja Szamocin“ und „Das letzte Kleinod“ mit ihrem Stück unterwegs. Bühne und Transportmittel zugleich ist ein alter Güterwaggon. Deshalb touren die beiden Theatergruppen von Bahnhof zu Bahnhof und kommen heute nach Gastspielen in Hannover und Bergen-Belsen in Bremen an.

Ähnlich wie beim „Kleinod“-Stück „G56“ vor zwei Jahren ist „km 14,7“ eine Montage aus Musik und theatralen Szenen. Sechs SchauspielerInnen und ein Musiker zeichnen Biographien nach und beleuchten das „kleine“ Alltagsleben in Szamocin, auf das die „große“ Politik vor allem während und nach dem Zweiten Weltkrieg so fatale Auswirkungen hatte. Als Material dienen Interviews, die von den Mitwirkenden und Achim Saur im Frühjahr geführt wurden. Alte Leute erzählten da von den Schwierigkeiten, sich der deutschen oder polnischen Seite zuzuordnen, sowie von Zwangsarbeit in Deutschland und schließlich von der Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg.

Trotz des schwergewichtigen Themas betonen die Theatermacherinnen Ida Bocian und Juliane Lenssen ausdrücklich, ihrem Publikum nicht ein paar Tonnen Geschichte auf die Schultern packen zu wollen. „Wir wollten weg vom Pathos“, sagt Bocian. Nach mehreren Aufführungen in Polen und Deutschland berichtet sie von vielen ZuschauerInnen auf beiden Seiten der Grenze, die sich in dem Stück wiedergefunden haben. Angeregte Diskussionen nach dem Stück sind von den Beteiligten ausdrücklich erwünscht. ck

„km 14,7“ ist am 26. und 27.8. um 20.30 Uhr am Bahnhof Bremen-Oslebshausen zu sehen. Es folgen Vorstellungen an weiteren Bahnhöfen: Worpswede am 29.8., Brillit am 30.8., Geestenseth am 31.8. und Bremerhaven Columbusbahnhof am 1. und 2.9. jeweils um 20 Uhr. Kartenreservierung unter Tel.: 04749/10 25 63 oder unter via Mail ticket§das-letzte-kleinod.de