Hart an der Wahrhaftigkeit vorbei

Die Aussage des früheren Kassenprüfers der hessischen CDU-Fraktion, Frank Lortz, offenbart die nunmehr vierte Lüge des Roland Koch im Spendenkomplex. Hessens CDU-Führung verstrickt sich immer mehr

FRANKFURT taz ■ Mit einem kurzen Hinweis darauf, dass die Haushaltsposten „sonstige Einnahmen“ in den Rechenschaftsberichten der CDU in Hessen in den Jahren 1989 und 1991 „sprunghaft auf Millionenbeträge angestiegen“ seien, brachte Der Spiegel die ganz spezielle Spenden- und Schwarzgeldaffäre der hessischen Union im November 1999 erst so richtig ins Rollen. „Anonyme Vermächtnisse“ seien der CDU damals zugeflossen, hieß es zunächst. Der Schatzmeister der Partei, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, wurde schnell konkreter: Im Ausland verstorbene Juden hätten der hessischen CDU ihr Vermögen vermacht, behauptete er. Das war die – bislang – infamste Lüge im gesamten Komplex.

Am 3. Januar 2000 wird in Wiesbaden bekannt, dass der Prinz der Partei Ende 1999 einen Kredit in Höhe von 1,5 Millionen Mark eingeräumt hatte. Der wurde umgehend und mit dem Wissen von Ministerpräsident Roland Koch in den Rechenschaftsbericht für 1998 eingebaut; bar in die Parteikasse eingezahltes Schwarzgeld sollte so verschleiert werden.

Die Sache flog erst vor wenigen Wochen auf. Koch hatte auch der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die den Rechenschaftsbericht der Union für 1998 prüfte, den wahren Sachverhalt verschwiegen. Das Unternehmen fühlte sich hintergangen. Und SPD und Bündnisgrüne im Landtag konstatierten, dass Koch sich das Ergebnis mit einer „dreisten Lüge skrupellos erschlichen“ habe. Das war schon Lüge Nummer drei.

Am 14. Januar 2000 wird der Prinz als Lügner entlarvt; ausgerechnet vom ehemaligen CDU-Landesvorsitzenden Manfred Kanther. Der gesteht ein, zusammen mit dem Prinzen und dem CDU-Finanzberater Horst Weyrauch im Jahre 1983 rund 8 Millionen Mark, die der hessischen CDU gehörten, ins Ausland geschafft zu haben. Temporär waren auf Konten in der Schweiz und auf Konten der Stiftung „Zaunkönig“ in Liechtenstein mehr als 20 Millionen Mark illegal deponiert. Und schwarz floss das Geld – hart am Parteiengesetz und an der vorgeschriebenen Wahrhaftigkeit für Rechenschaftsberichte vorbei – wieder zurück nach Hessen (und zum Teil wohl auch zur CDU nach Bonn).

Am 10. Januar noch hatte Koch diese Parteieinnahmen als „regulär“ bezeichnet. Das war seine erste Lüge, wie er selbst vier Wochen später, nachdem es nichts mehr zu beschönigen gab, einräumen musste. Am 17. Januar 2000 schon hatte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden gegen Prinz Wittgenstein, Weyrauch und auch Kanther Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Am 19. Januar wird die Affäre in der Affäre bekannt. Der CDU-Buchhalter Reischmann betrog seine Partei von 1988 bis 1992 um mehr als 2 Millionen Mark; 400.000 davon „verschwanden“ aus der Kasse der Landtagsfraktion. Reischmann, der für seine Betrügereien von Koch-Freund Franz Josef Jung (heute Staatsminister im Kabinett) ausgestellte Blankoschecks benutzte, wurde nach der Aufdeckung seiner Machenschaften von der CDU-Führung nicht angezeigt. Und musste nur einen Bruchteil der veruntreuten Summe zurückzahlen. Und warum? Reischmann erpresste die Parteiführung ganz offenbar mit seinem Wissen über die Schwarzgeldkonten der hessischen CDU im Ausland. Jung war damals Generalsekretär der CDU und Roland Koch Fraktionsvorsitzender im Landtag.

Vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin erklärten Koch und Jung jedoch, dass sie von den schwarzen Konten nichts gewusst hätten (Koch zweite Lüge). Jung sagte weiter, dass die Fraktion nicht über die „Affäre Reischmann“ und die Löcher in den Kassen von Partei und Fraktion informiert worden sei. Und Koch behauptete, erst „im Sommer 1993“ von Kanther eingeweiht worden zu sein. Das war wohl die Koch-Lüge Nummer vier. Denn der frühere Kassenprüfer der Fraktion, Frank Lortz, sagte am Mittwoch dieser Woche vor dem Haushaltsausschuss des Landtages, dass er die gesamte (!) Fraktion schon Ende März (!) 1993 über Unregelmäßigkeiten in den Fraktionsfinanzen unterrichtet habe.

Last but not least: Am 14. Juli 2000 wird bekannt, dass die hessische CDU in den Achtzigerjahren von Ferrero (Mon Cheri) Bargeldspenden in Höhe von knapp 1 Million Mark erhalten hat. Das Geld tauchte in den Rechenschaftsberichten der Partei nicht wieder auf. Dass Ferrero dafür an einem seiner Standorte von einem CDU-Bügermeister über Jahre hinweg steuerlich begünstigt wurde, wie von der Opposition im Landtag behauptet, bestreiten der Süßwarenhersteller, der Bürgermeister und die CDU-Generalsekretärin Otti Geschka.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT