Über allen Kränen ist ruh ...

Die großen Kräne, die einst die Bremer Werftenlandschaft prägten, sind verschwunden / Nur der Hammerkran auf dem Vulkan trotzt den Zeiten / Eine Reportage von  ■ Michael Jungblut (Fotos) und Olaf Liebert

Schiffbau hat an der Weser eine lange Tradition. Hunderte Bootsbauer, kleine und große Werften säumten früher das Flussufer. Doch die fetten Jahre sind vorbei, der so charakteristische Wald der Kräne ist inzwischen stark ausgedünnt, die AG Weser und der Bremer Vulkan sind lange schon Pleite. Es ist, als tobte hier ein Jahrhundertsturm. Und so trotzt der letzte Hammerkran der Region auf dem Vulkan-Gelände in Bremen-Vegesack einsam und verlassen dem meist feuchten Wetter aus Nordwest. Seit 1960 steht er dort, noch immer voll funktionsfähig und einsatzbereit. Herzlichen Glückwunsch zum 40. Geburtsjahr also!

Weil nach den EU-Schließungsbeihilfen dort nie wieder Schiffbau betrieben werden soll, hat die Bremer Investitions Gesellschaft (BIG) als derzeitige Eigentümerin des Geländes mittlerweile sämtliche anderen Kräne demontieren lassen und größtenteils auch schon verkauft. Zuletzt fiel in einer spektakulären Aktion, der riesige rote Bockkran des Vulkan-Trockendocks. Jahrzehntelang war er ein Symbol für die Wirtschaftskraft der Unterweserregion, und das weithin sichtbare Wahrzeichen der Werft. Doch was noch zu Lebzeiten allein durch seine mächtigen Dimensionen beeindruckte, liegt nun reuig und zerlegt zu des Hammerkrans Füßen, während die Kaufinteressenten um ihn feilschen.

Er widersetzte sich bisher allen Demontageplänen. Eine vor 40 Jahren als tonnenschweres Gegengewicht auf 30 Meter Höhe eingegossene Betonplatte bereitet den Ingenieuren von heute erhebliche Kopfschmerzen. Nur sehr aufwendig, sehr teuer, ließe sich so etwas wieder zerlegen. Die Kosten-Nutzenrechnung fällt somit eindeutig zuguns-ten des Oldtimers aus. Zur Strafe heißt es bei der BIG deshalb: „Der soll arbeiten!“ Und die Not wird dabei zur Tugend.

Und wenn eine der Firmen, die mittlerweile wieder in den altehrwürdigen Hallen arbeiten einen Kran braucht, bitte schön! Noch stehen zwei Kranfahrer in Diensten der BIG. Einer von ihnen ist Herr Hecker.

Er hat sein ganzes bisheriges Arbeitsleben auf dem Gelände zugebracht. Während seiner Lehrzeit mit der Wartung der elektrischen Anlage des Kranes betraut, kennt er jedes technische Detail, und so manche Anekdote die sich um das abgehobene Treiben der Kranführer rankt. Ganz oben, sozusagen auf dem Hammer, vorbei an einer noch halbvollen Whiskeyflasche der Sorte „Long Wood“, gelangt man ins Führerhaus der „Ente“. Dieser Kran auf dem Kran wurde für die alltäglichen kleinen Lasten, etwa Material und Werkzeug der Werftarbeiter eingesetzt. Hier im Führerhaus hat sich der langjährige Kranfahrer Ewald Vagt ein Denkmal gesetzt. 60 Meter über dem Gewusel tausender schwitzender „Vulkanesen“, die sich in vor Dreck stakenden Monturen mit Schneidbrennern und Vorschlaghämmern an grobem Schiffsstahl zu schaffen machten, schuf er eine Oase der Muße und Beschaulichkeit. Ein atemberaubendes Fernsichtpanorama erhebt hier den Geist in elysische Gefilde. Majestätisch ziehen die Wolken über den Horizont. Die Stille ist perfekt, das ganze Urstromtal der Weser liegt einem zu Füßen.

Eine Zisterne nebst Waschbecken und Rasierspiegel, auch Radio und Fernseher gehören selbstverständlich zur Ausstattung des entrückten Wolkenheims. Im Bücherregal liegt noch der „Roman der Woche“, vielleicht die Lektüre der letzten Schicht. Darunter eine intelligent konstruierte Pritsche, die in ausgeklapptem Zustand die Tür blockiert.

„Das hat der sich alles selbst gebaut. Der soll hier auch Geige geübt, und sogar Gedichte geschrieben haben!“ Die Gedichte hat er leider alle mitgenommen. Herr Hecker blättert statt dessen in einem vergilbten Notizblock mit Eintragungen wie dieser: „17. Mai 1978. Bolzenlager überprüft und geschmiert.“ oder „6. Juni 1978. Überprüfung der Isolierung, Laufkatze.“

Dann präsentiert er ortskundig den raffiniert versteckten „Schlafplatz“ hinter einem engen Durchstieg im Treppenhaus. Jeder Laie wäre hier ahnungslos vorbeigestiefelt. „Früher stand da noch ein Nachtschrank, aber den hat sich wohl jemand mitgenommen“, schmunzelt er. Wenn kein Schiff am Kai lag, gab es für die einzelnen Abteilungen manchmal wochenlang nichts zu tun. Dann kümmerte sich der Kranführer um Wartung und Instandhaltung. Auch um die eigene. Und gaben sich anschließend tagelang der Muße und den Musen hin. „Die kannten ihre Kräne genau.“ Ein echter Kranführer steigt morgens auf und verlässt seinen Arbeitsplatz erst wieder zu Feierabend. Egal, ob es etwas zu heben gibt, oder nicht. Kranfahrerehrensache. Der Trick dabei ist das einzigartige Freilufturinal in 30 Meter Höhe. Mit der grandiosen Aussicht über den brusthohen Windschutz ist es allein schon ein wunderschönes Stück Industriegeschichte.