: Polen auf hohem Ross
Im Urlaub gehen die Polen gern fürstlich baden. Ritter-und-Burgfräulein-Spielen mit der ganzen Familie ist auch sehr beliebt
Lifestyleprodukt Urlaub. In unserer Sommerserie stellen taz-Korrespondenten grenzübergreifend Reisestile vor. Denn zwischen Wanne-Eickel und Buenos Airesändern sich nicht nur Destinationen, sondernauch Gewohnheiten. Heute: Wenn Polen reisen
von GABRIELE LESSER
Als sich vor zwei Jahren Henryk Ruszewski zum Fürsten von Leba in Ostpommern krönen ließ, sich einen Hofstaat zulegte und sogar einen Verteidigungsminister ernannte, stand ganz Polen Kopf. Ein Fürstentum mitten im modernen und noch dazu nachsozialistischen Polen? Erlaubte das die Verfassung überhaupt? Der europäische Adel meldete sich zu Wort und tat kund, dass er diesen selbst ernannten Fürsten nie und nimmer in seine erlauchten Kreise aufnehmen werde. Auch wenn sein Fürstentum ein eigenes Wappen habe, sogar eigenes Geld präge – Ruszewski fehle das entscheidene Etwas zum Adligen: das blaue Blut in seinen Adern.
Scharen von Journalisten fuhren an die Ostsee, wurden von den 4.000 Untertanen freundlich willkommen geheißen – und wenige Tage später kamen die ersten Touristen. Innerhalb von nur zwei Jahren ist der idyllisch gelegene Badeort mit Fischereihafen an der Mündung des Flüsschens Leba zum beliebtesten Ferienziel im östlichen Pommern avanciert. Im letzten Jahr kamen 100.000 Touristen. Und das Fürstentum blüht und gedeiht. Fürst Ruszewski, der dem städtischen Tourismusverband vorsteht und selbst einige Pensionen, den Campingplatz sowie das Cafe Mozart in Leba betreibt, lacht noch heute, wenn er an die Ausrufung des „Fürstentums“ zurückdenkt: „Das war besser als jede Unterstützung von Ämtern für Wirtschaftsföderung oder Regionalentwicklung.“
Allerdings war die Show so überzeugend, dass ein deutscher Fernsehsender eine fünfzehnminütige Reportage über „Autonomiebestrebungungen im pommerschen Leba“ brachte, woraufhin sich prompt der polnische Geheimdienst für den Badeort interessierte.
Als der Fürst bekannt gab, dass er sich auch vor Torturen mit möglicher Todesfolge nicht fürchte, da er ohnehin Krebs habe, zogen die düsteren Mannen wieder ab. „Das ständige Lügen“, sagt der Fürst, „war zunächst etwas anstrengend.“ Aber inzwischen hätten alle in ihre Rollen gefunden. Das Geschäft laufe bestens.
Lange Gesichter hingegen machen die Besitzer von Reisebüros. In diesem Jahr will partout kein Pole nach Ägypten oder Tunesien. „Die waren da alle schon im letzten Jahr“, erklärt Krzysztof Piatek von Neckermann in Polen. „Der Pole ist ein schwieriger Kunde“, erklärt er weiter, „er liebt es nicht, zweimal hintereinander in dasselbe Land zu reisen.“ Gut gehe in diesem Jahr lediglich die Türkei, bestätigt auch der Chef von Orbis-Travel, Grzegorz Pradzynski. Allerdings nicht etwa, weil die Programme so aufsehenerregend wären oder die Polen plötzlich ihre große Liebe zur türkischen Agäis entdeckt hätten, sondern – viel prosaischer – weil die Preise nach den verheerenden Erdbeben im letzten Jahr so günstig sind wie nie zuvor.
Ohnehin machen über 70 Prozent aller Polen im eigenen Lande Urlaub. Dabei zieht nicht nur das „Fürstentum Leba“ an, sondern auch Ritterspiele und Minnesang in den Burgen des Deutschen Ordens. Ganze Landstriche Polens verwandeln sich im Sommer in mittelalterliche Feldlager mit Schlachtengetümmel und abendlichem Grillen vor dem Kriegszelt. Meistens legen die Polen Helm und Kettenhemd an, um die Kreuzritter zu bekämpfen und zu besiegen. Historische Kostümfilme wie Andrzej Wajdas „Mit Feuer und Schwert“ werden von mehreren Familienclans nachgespielt.
Da das „Gemetzel“ ja Urlaub sein soll, gibt es natürlich auch friedlichere Tage, an denen man Pilze, Beeren und Kräuter sucht oder einfach wandert. Am nächsten Tag werden dann wieder ein paar Kreuzritter erstochen.
Hin und wieder kommen auch ahnungslose Fremde am Feldlager vorbei. Beim abendlichen Gelage zu Wodka und gegrillter Tagesbeute erzählen sie dann, was sich in den letzten Tagen in der großen, weiten Welt so zugetragen hat. Und alle sind froh, dass sie da nicht hingefahren sind.
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