gegenstimmen

Gesicht zeigen?

Am vergangenen Samstag veröffentlichte die taz die Bilder von zweiundzwanzig führenden Rechtsradikalen auf ihrer Titelseite. Diese Aktion bescherte der taz großes Lob der LeserInnen. Aber auch die Kritik anderer Zeitungen.

„Nazis müssen geächtet werden. Früher band man Delinquenten an einen Schandpfahl, um sie der öffentlichen Verachtung preiszugeben. Die Zeitung ersetzt heute den Pranger. Das „Outing“ appelliert immer an niedrige (Jagd-)Instinkte. Outing ist Denunziation, auch wenn es dem Guten dient. Darin sind die Deutschen Meister.“

Burkhard SchröderJungle World, 23. August 2000

„In den Medien ist die Neigung groß, die bewährten, wenn auch zugegebenermaßen ausgetretenen journalistischen Pfade zu verlassen und der Auflage oder Einschaltquote wegen spektakuläres Neuland zu betreten. Hier ist weniger die Rede von erfundenen Interviews und Borderline-Journalismus. Die disqualifizieren sich selbst. Vielmehr geht es um die „Kampagne“ als journalistische Kategorie. Da sitzt auch diese Zeitung im Glashaus. Die Verlockung ist groß, die Themen sind vielfältig. Ob es nun der Rechtsextremismus oder die Rechtschreibreform ist. Aber die Grenze des Erträglichen ist überschritten, wenn der professionelle Beobachter und Kommentator sich die Rolle der Exekutive anmaßt. Und das um so mehr, wenn er personalisiert.“

Jochen SiemensFR, 22. August 2000

„Die taz druckt Fotos von den derzeit aktiven Rechtsextremisten: ein politisch korrektes Fahndungsplakat. In England veröffentlicht die Boulevardpresse die Konterfeis von Kinderschändern. [. . .] Bei allen Unterschieden zwischen britischem und deutschem Rechtsstaat ist den Medienkampagnen zum Schutz der Zivilgesellschaft ein zutiefst antizivilisatorisches Moment gemeinsam: die versteckte Aufforderung zur Selbstjustiz. Und obendrein die öffentliche Brandmarkung von Übeltätern, die – derart an den Pranger gestellt – kaum noch eine Chance haben dürften, sich in Zukunft zu bessern. Wer will mit denen noch zu tun haben! Fortan überwachen wir einander rund um die Uhr: Die Feier des Individuums, seine freiwillige Selbstentblößung in Talkshows und Doku-Soaps, kehrt sich gegen das Individuum selbst. Zurück bleibt das mulmige Gefühl, dass all diese Kampagnen womöglich doch nicht die Zivilcourage ermuntern, sondern den Fahnder in jedem von uns.“

Christiane PeitzTagesspiegel, 24. August 2000

„Doch warum sind es ausgerechnet diese zweiundzwanzig, die uns zur allseitigen Entlastung angeboten werden, zur Katharsis, die sich beim Blick auf die Köpfe einstellt, mit denen das Böse in diesem Land ein Gesicht bekommt? Warum sind nicht diejenigen darunter, die im April einen Brandsatz gegen die Synagoge in Erfurt geschleudert haben? Und warum nicht diejenigen, die den Algerier Omar Ben Noui in der Nacht zum 13. Februar 1999 im brandenburgischen Guben zu Tode gehetzt haben? Diese rechtsradikalen Täter hätte die Sichtbarmachung womöglich noch, wie die echten und vermeintlichen Kinderschänder in England, schockiert, die Neonazi-Prominenz der „taz“ aber wird sich in ihrer Rolle eher bestätigt fühlen, vielleicht vermißt der eine oder andere sein Abbild gar.“

Michael HanfeldFAZ, 21. August 2000