Karibisch leben und arbeiten

■ Warum in die Ferne schweifen? Gleich hinter Worpswede hat der Journalist Erwin Bienewald das kleines Urlaubsparadies „Schameika“ aufgebaut. Geholfen haben ihm dabei 60 Behinderte

Für manches reizvolle Urlaubsziel ist bereits der Reiseweg zu aufwändig. So ist die Karibikinsel Jamaika zweifellos ein herrliches Fleckchen. Aber erst eine Menge Geld bezahlen und etliche Stunden im Flugzeug verbringen, um schließlich schon nach zwei Tagen Heimweh zu bekommen? Da holen wir uns die Insel doch lieber nach Bremen!

So erklärt der Radio-Bremen-Mitarbeiter Erwin Bienewald, wie er auf die Idee kam, sein „Schamaika“ im Teufelsmoor zu gründen. Seit dem ersten Advent 1999 hat das Ausflugslokal mit Wochenendplatz, Ferienchalets und Bootsverleih für Erholung suchende BremerInnen geöffnet. Bienewalds Spezialität: Hausgemachter Apfelsaft, eines von vielen Produkten seiner sechzig unter psychischen oder geistigen Behinderungen leidenden Beschäftigten. Die „Schamaika“, ein Ableger der Behindertenwerkstatt Semkenhof, ist das jüngste Projekt in Bienewalds bewegtem Leben.

Im November 1985 gründete er in Bremen „Klick“: Eine Zeitschrift von Kindern für Kinder. Von da an zog eines das andere nach sich. Die journalistisch tätigen Kinder und Jugendlichen bekamen bald zu spüren, wie wenig sie mit ihren Aktionen wirklich erreichen können. Viele sind daher aus Protest in die Punkszene gewechselt und schlugen an Silvester 1989/90 aus Wut Schaufensterscheiben ein.

Bienewald reagierte. Mit einer staatlichen Unterstützung von 70.000 Mark kaufte er ein leer stehendes Haus an der Friesenstraße und setzte es für die Punks instand. Es folgten weitere Hauskäufe. Heute haben in ganz Bremen verteilt Drogenabhängige, Kranke und sozial Schwache dank Erwin Bienewald eine Wohnung gefunden. Trotz günstiger Zinsentwicklung ging dem Journalisten aber bald das Geld aus. Nachdem er der Stadt Bremen mit dem Wohnungsbau bei der Bewältigung sozialer Probleme geholfen hatte, ließ diese ihn nun hängen. Vom Sozialamt übernommene Mietzahlungen wurden plötzlich eingestellt, was einen jährlichen Verlust von etwa 50.000 Mark zur Folge hatte.

Da erfuhr Bienewald von der Möglichkeit, mit Hilfe des Landes Niedersachsen einen sozialen Betrieb in Worpswede zu gründen und damit sowohl Langzeitarbeitslosen als auch behinderten Menschen Arbeit zu verschaffen. So leben und arbeiten seit 1994 im umgebauten alten Bauernhof Semkenhof Menschen mit „geistigem oder seelischem Handicap“. Dort pressen sie ihren Apfelsaft, versorgen Tiere, ernten Heu, bauen Tische, Liegen und Regale. Und sie helfen beim Bau der Ferienanlage Schamaika.

Dort, betont Erwin Bienewald, kann jeder machen was er will: „Wir wollen nicht die Menschen der Arbeit anpassen, sondern die Arbeit den Menschen.“ So hilft der eine in der Küche, ein anderer sägt derweil Holz für die neue Gartenterrasse. Und wenn jemand gar nichts tun will, dann ist das auch in Ordnung.

Das Engagement der Angestellten erfordert freilich Betreuung. Urlaub hatte Bienewald schon seit zehn Jahren nicht mehr. Zwar würde er gerne wieder einmal nach seinen Xavante-Indianern in Brasilien sehen, mit denen er gemeinsam im Dschungel ein Gesundheitszentrum errichtet; „aber das hier lässt mich nicht weg“. Eine Vertretung für diese Zeit wäre schlichtweg nicht möglich. Niemand hätte die nötigen Erfahrungen, niemand hätte die Autorität, bzw. die Selbstbeherrschung, „sie gerade in kritischen Situationen nicht auszunutzen“. Doch über Urlaubsmangel will er sich nicht beklagen. Schließlich hat er ja die Karibik nach Bremen geholt. Johannes Bruggaier

Informationen unter Tel.: 04792/12 95, Spendenkonto: Die Sparkasse Bremen, Konto 109 56 043, BLZ 290 501 01