Eine Universitätsklinik ohne Fans

Die Charité hat im Senat kaum noch Fürsprecher. Wie es nach der Streichung der Sanierungsgelder für das Bettenhaus in Mitte weitergehen soll, muss Wissenschaftsstaatssekretär Lange am Mittwoch bei einer Personalversammlung erklären

von DOROTHEE WINDEN

Die Frau im weißen Kittel winkt ab. Die Frage, wie die Stimmung unter den Beschäftigten der Charité sei, will sie nicht beantworten. „Mir steht’s bis oben hin,“ sagt sie leise, und im Weggehen entfährt ihr noch ein Stoßseufzer: „Das macht mich fertig.“

Als „äußerst resignativ“ beschreibt Achim Hammerbacher von der ÖTV-Betriebsgruppe die Stimmung an dem Universitätsklinikum. Denn die Sanierung des Charité-Standortes Mitte ist auf halber Strecke ins Stocken geraten. 800 Millionen Mark hatten Senat und Parlament der Charité vor sechs Jahren für die Modernisierung der Klinik zugesagt. Rund 400 Millionen sind verbaut worden, doch die restlichen Investitionsmittel sollen nun erst ab 2004 fließen. Das bedeutet de facto einen Baustopp von sieben bis zehn Jahren, wie Charité-Verwaltungsdirektor Bernhard Motzkus feststellt.

Der Aufschub trifft vor allem das Bettenhochhaus mit mehreren chirurgischen Abteilungen, aber auch die technische Infrastruktur der Klinik: Wasserrohre, Elektrokabel, Versorgungsleitungen. Von den 200 Millionen Mark, die für die Sanierung der technischen Anlagen vorgesehen waren, sind drei Viertel bewilligt und zur Hälfte auch schon verbaut. Doch nun fehlen 54 Millionen Mark, um den letzten Bauabschnitt zwischen 2001 und 2003 zu Ende zu bringen, erläutert der Leiter der Technik-Abteilung, Rolf-Dieter Kranki. Davon müsste das Land Berlin nur die Hälfte bezahlen. Im Rahmen der Hochschulbaufinanzierung übernimmt der Bund die anderen 50 Prozent.

Die Versorgungssicherheit des Hauses sieht Kranki zwar nicht gefährdet, aber der Aufschub der Sanierung bedeutet, dass zusätzliche Reparaturen anfallen werden. Unwirtschaftlich sei das Ganze. „Die Reparaturen fressen uns die Gelder für die Instandhaltung auf“, befürchtet der Ingenieur.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Haus und die Betriebstechnik so über die Runden kommen“, meint auch Verwaltungschef Bernhard Motzkus. Das Bettenhochhaus, ein hässlicher 70er-Jahre-Bau mit einer Fassadenverkleidung aus Waschbeton, wäre der nächste Sanierungsschritt gewesen. Rund 200 Millionen Mark sind dafür veranschlagt. Wie die Charité diese Hängepartie überstehen soll, ist unklar. Motzkus erwartet nun „die Weisheiten der Politik“.

Bei einer außerordentlichen Personalversammlung am Mittwoch werden Wissenschaftsstaatssekretär Josef Lange und Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) den Beschäftigten Rede und Antwort stehen müssen. Wissenschaftssenator Christoph Stölzl (parteilos) hat das Glück, noch im Urlaub zu weilen. Mit ihm will sich Verwaltungsleiter Motzkus im September treffen. Stölzl habe sich in den Haushaltsverhandlungen für die Charité eingesetzt, nimmt Motzkus den Senator in Schutz, dem bereits vorgeworfen wurde, sich bislang nur um die defizitären Kulturbetriebe gekümmert zu haben.

Für Stölzl kommt erschwerend hinzu, dass die Charité im Senat nur noch wenig Sympathien genießt. Vor Jahren hatte die renommierte Klinik noch höchste Priorität, nun ist sie zum Stiefkind geworden. Als bei den Koalitionsverhandlungen im vergangenen Dezember die Investitionsmittel auf Jahre verschoben wurden, fiel die Entscheidung in seltener Übereinstimmung zwischen CDU und SPD. Fragt man Motzkus, warum die Charité beim Senat so weit nach hinten gefallen ist, während die Sanierung des Olympiastadions (ebenfalls rund 400 Millionen) in aller Munde ist, kontert er geschickt: „Unsere Fans sind nicht so rührig.“ Doch auch Motzkus selbst hat kaum noch Fans. Mit seinem provokativen Auftreten – mal fordert er betriebsbedingte Kündigungen in der Charité, mal, die Krankenkassen AOK und BKK zu schließen – hat er viele Sympathien verspielt.

Die ÖTV-Betriebsgruppe sieht in der jetzigen Lage nicht nur Senator Stölzl in der Pflicht, sondern auch die Klinikleitung. „Der Klinikumsvorstand muss endlich Pläne und Konzepte erarbeiten, wie die Charité künftig aussehen soll.“ Falls die 54 Millionen für die Fertigstellung der Versorgungsleitungen nicht doch noch bewilligt werden, fürchtet ÖTV-Mann Hammerbacher die schleichende Abwicklung des Standorts Mitte. Bereits in den letzten Jahren sind einige Abteilungen in das hochmoderne Virchow-Klinikum verlegt worden. Einer Verlagerung weiterer Klinikbereiche von Mitte nach Wedding sind allerdings Grenzen gesetzt: Dort ist kein Platz mehr, wie Motzkus bestätigt.

Die Sprecherin der Wissenschaftsverwaltung, Kerstin Schneider, versichert: „Wir halten am Standort Mitte fest.“ Zudem ist das Bettenhochhaus am Campus Mitte fester Bestandteil des Krankenhausplans.

Doch die Gewerkschafter treibt noch eine andere Sorge um. Sie befürchten, „dass ein Investoren-Konsortium auftaucht, welches der Charité und dem Land Berlin die Übernahme aller Investitionen verspricht.“ Als Gegenleistung könnte dann ein Teil der Charité privat betrieben werden. Bislang handelt es sich bei dem privaten Investor mehr um ein Schreckgespenst denn um eine reale Gefahr. Doch der Argwohn der Gewerkschafter wird von früheren Äußerungen des Verwaltungsschefs gespeist, der mit Privatisierungsvorschlägen vorgeprescht war. Konkretisiert wurden diese jedoch nie, wie aus der Professorenschaft kritisch angemerkt wird. „Es ist kein einziger nachvollziehbarer Plan auf dem Tisch“, ist zu hören.

Viele Professoren würden es begrüßen, wenn die Durststrecke bei den staatlichen Geldern mit privatem Kapital überbrückt würde. Das Pflegepersonal hingegen ist skeptisch. Motzkus übt sich bei der Privatisierungsfrage neuerdings in Zurückhaltung: „Ich werde das Thema nicht mehr ansprechen. Die Politik muss nun erklären, wie es weitergeht.“

Die Hoffnungen der Charité-Mitarbeiter richten sich nun auf die Haushaltsberatungen des Parlaments nach der Sommerpause. Eine Rücknahme des Koalitionsbeschlusses ist dort nicht zu erwarten, möglich erscheinen allenfalls kleinere Korrekturen bei einzelnen Bautiteln.