Erleuchtung für den Darkroom

Eigentlich könnte die CDU unter den Homosexuellen eine Mehrheit gewinnen. Vorschläge für eine fantasievolle, christdemokratische Gleichstellungspolitik

Die Diskussion um die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften stellt die Union auf den ersten Blick vor ein ähnliches strategisches Dilemma wie die Auseinandersetzung um die doppelte Staatsbürgerschaft. Es ist die Debatte um die notwendige und längst überfällige Emanzipation einer Großgruppe von Menschen mit bisher nicht etablierter Identität – und von der SPD wird bewusst eine leicht neben dem Thema platzierte Chiffre gewählt: damals „Doppelpass“, diesmal „Homo-Ehe“.

Immer wird das berechtigte Anliegen einer lange ignorierten Gruppe so umgemünzt, dass Christdemokraten oder Konservative ihrem pawlowsch-programmatischen Reflex folgen und aufjaulen müssen. Immer werden die emanzipatorisch-avantgardistischen Grünen als Minenhunde vorgeschickt – in der Hoffnung, dass die mal national-, mal christlich-, mal nur dumpf-konservative Mehrheit programmgemäß explodiert. Dann sammelt der Konsenskanzler die Trümmer ein, entschuldigt sich im Inland für die Grünen, im Ausland für die Schwarzen und setzt mit der FDP in Rheinland-Pfalz das von vornherein gewünschte Ergebnis durch. In der Ausländerpolitik lässt sich Rot-Grün für ein Modell feiern, das reine FDP-Politik ist. Dass es für die Liberalen sechzehn Jahre lang Priorität No. 327 auf der Agenda war, ist deren Problem.

Die Union hat aus ihrer – im Übrigen gescheiterten – Kloakenaktion „Unterschriftenkampagne“ vielschichtig gelernt. Eine ähnlich blöde Kampagne will man nicht wieder starten, wohl weil man – auch in der CSU – realisiert hat, dass in der Union mehr Schwule registriert sind als Ausländer. Ins Realpolitische übersetzt heißt das: Gelassenes, Grundwerte-orientiertes Verhalten vorausgesetzt, müsste die Union sowohl unter Ausländern als auch unter Homosexuellen eine Mehrheit erzielen können. Es gibt nur einen Grund, warum diese Gruppen die Union nicht in ihr politische Kalkül ziehen sollten: dass nämlich die Union ihre Existenz lange schlicht negiert hat. Mit dem Satz „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ hat sich die Union jahrzehntelang an der Formulierung einer praktikablen Integrationspolitik vorbeigemogelt. Inzwischen verteilt Günther Beckstein fleißig Blue Cards und verlangt – zu Recht – mehr Deutschkurse für Ausländer, und so mancher eifrige Unterschriftensammler wähnt sich nun im falschen Film.

Auch beim Phänomen Homosexualität hat die Union für ihre Stammwähler manche Überraschung zu bieten. Noch bis vor einem halben Jahr war Homosexualität für die Union nicht kommunizierbar und für deren Anhänger folglich nicht existent. Jetzt rechnet Edmund Stoiber mal eben vor, dass die allgemeine Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare die Sozialversicherungssysteme zum Erliegen brächte. So randständig kann das Phänomen also nicht sein. Und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt – irgendwie überraschend – zu bedenken, „dass eine demonstrative rechtliche Gleichstellung unabsehbare Folgewirkungen [...] auf Verhaltensdispositionen [von] Menschen mit bisexueller Orientierung und auf Jugendliche haben könnte.“ Nun ist plötzlich jeder ein potenzieller Homosexueller. Es kommt nur auf die Gesetze an.

Das eben zitierte Papier des stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Bosbach, ist freilich dennoch und gerade wegen solcher sonst unausgesprochenen Überdeutlichkeiten ein mutiger Text. Die Union hätte also einiges zu sagen. Sie könnte im Verlauf der Diskussion der nächsten Wochen und Monate unverhofft an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie ein Leitbild für eine (lebens)lange, jedenfalls auf Treue und Solidarität gründende Partnerschaft zwischen Menschen gleichen Geschlechts stiftete.

Um dabei einen spezifisch christlich-demokratischen Standpunkt zu entwickeln, empfiehlt es sich zu prüfen, wie der Staat und seine Rechtsordnung eigentlich auf die Ehe kommen. Es war die das 19. Jahrhundert prägende Hybris des Staats, Regelungsbereiche der Kirchen in sein Zivilrecht einzuverleiben. Ausgehend vom christlichen Sakrament der Ehe verregelte der Staat dieselbe – um Deutungshoheit über diese Institution zu erlangen – vom Kranzgeld über das Ehenamensrecht und die Zugewinngemeinschaft bis zum Zerrüttungsprinzip und zurück. Aus welchen Personen eine Ehe besteht, nämlich aus je mindestens und höchstens einem Mann und einer Frau, das leitet der Staat allein aus der christlich-kirchlichen Tradition ab. Eine Homo-Ehe verändert die kirchlich-staatliche Geschäftsgrundlage – und zwar grundstürzend. Eine Ehe ist eine Ehe ist eine Ehe. Der Staat regelt hier quasi in Auftragsverwaltung eine Institution, die älter ist als er selbst.

Darin liegt auch die Bedeutung des Artikels 6 im Grundgesetz. Er skizziert nicht ein familienpolitisches Leitbild, das die Verfassungs-Mütter und -Väter hatten, sondern vorstaatliche Institutionen einer posttotalitären Gesellschaft, die der neue Staat im Interesse der ihm zugrunde liegenden Wertordnung schützen musste. Den Begriff „Ehe“ nunmehr durch Gleichstellung von „Homo-Ehen“ zu unterspülen, ändert den materiellen Gehalt des Grundrechts. Das aber geht nur mit Zweidrittelmehrheit. Das Grundgesetz verbietet freilich nicht, dass der Staat andere Lebensformen als Ehe und Familie schützt – gewahrt bleiben muss nur deren „besondere“ Schutzwürdigkeit.

Die Haltung der Union als nicht klerikaler, aber kirchenbewusster Partei muss also die folgende sein: 1. Schaffung des Instituts einer gesetzlich geregelten, standesamtlich geschlossenen „eingetragenen“ Partnerschaft für heterosexuelle und homosexuelle Zusammensetzungen; 2. volle Gleichstellung homosexueller und heterosexueller Lebensgemeinschaften vor dem Gesetz mit allen fiskalischen und sozialversicherungsrechtlichen Folgen; 3. Reduzierung der bisherigen materiellen Eheförderung und Umlenkung der Mittel zu einer sozial dringend erwünschten objektbezogenen Fortpflanzungs- und Erziehungsförderung – also strikt kindzentriert; 4. Abschaffung des Begriffs „Ehe“ im Bürgerlichen Gesetzbuch und aller darauf bezogenen Regelungen; 5. Koppelung des Begriffs „Ehe“ an eine Trauung nach kirchlichem Recht; 6. unveränderte Beibehaltung des Artikels 6 im Grundgesetz – nun steht die nurmehr kirchliche Ehe unter grundrechtlichem Schutz.

Auch wenn es überrascht: Diese Regelung hätte für alle nur Vorteile. Die Kirchen würden eine Deutungshoheit – ja ein Deutungsmonopol – für eine wesentliche gesellschaftliche Institution zurückgewinnen. Die Union hätte den Kirchen jene mächtige Deutungshoheit (zurück-)verschafft und gleichzeitig eine bei weitem gültigere Emanzipation von Homosexuellen erreicht, als sie jemals auch nur erklärtermaßen angestrebt wurde. Rot-Grün will ohnehin das Beste und regelt die Dinge sachorientiert. Der Union und uns allen bekäme fantasieangereicherte Grundsatztreue ganz gut. Denn nur helle Köpfe erleuchten den programmatischen Darkroom.

MARKUS SCHUBERT

Hinweise:Die Union hat aus ihrer gescheiterten Kloakenaktion „Unterschriftenkampagne“ vielschichtig gelerntDas Grundgesetz verbietet freilich nicht, dass der Staat auch andere Lebensformen als Ehe und Familie schützt