Der Fall des „VEB Jekyll & Hyde“

■ Private Investoren wollten von Anfang an nicht das Risiko für das Bremer Musical-Projekt übernehmen / Interner Bericht des Wirtschaftssenators malt das Bild eines Sanierungsfalles

„Ich gebe zu, auch ich habe früher die Ausgaben für das Musical sehr skeptisch gesehen“, das Musical habe sich aber als „Erfolg erwiesen. Ich habe mit meiner damaligen Kritik falsch gelegen.“ Als Bremens Bürgermeister Henning Scherf dies Mitte Juni dem Weser Report anvertraute, war die Auslas-tung des Musicals auf ihren Tiefpunkt (29,2 Prozent) gesackt und sowohl die Produktions- wie die Betriebs-KG des Musicals Jekyll & Hyde waren „überschuldet“, wie ein interner Bericht von Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) jetzt einräumt.

Aber nicht nur der Bürgermeis-ter war ahnungslos. Insbesondere die Parlamentarier, die für die Verwendung des Steuergeldes verantwortlich sind, haben erst in dieser Woche erfahren, in welchem Ausmaß das Musical von Anfang an aus dem Staatssäckel bedient wurde – ein „VEB Jekyll & Hyde“.

Der Wirtschaftssenator selbst hatte keinen Überblick über nachträgliche Vertragsveränderungen durch seine eigene Tochterfirma „Hanseatische Veranstaltungs-Gesellschaft“ (HVG), daher hat er sich von der HVG im August über die vertraglichen Nebenabreden informiert und am 18.8.2000 schriftlich geben lassen, dass es „weitere Vereinbarungen als die nun offen gelegten“ nicht mehr gebe. Da es kaum ein privates unternehmerisches Risiko beim Musical gibt, geht die „Rettung“ auch voll zu Lasten des Lands.

Reichlich hilflos erscheint der Versuch des Wirtschaftssenators, über fünf Seiten den Parlamentariern der Wirtschaftsförderausschüsse zu erklären, dass das staatliche Engagement bei Jekyll & Hyde mit ihren Beschlüssen übereinstimme. Am 8.2.1996 hatten die Ausschüsse den Wirtschaftssenator nämlich verpflichtet, sein Engagement beim Umbau des alten Zentralbades für das Musical „auf jährlich 1,7 Millionen Mark zu begrenzen“. Wie viel wirklich geflossen ist, rechnet die Beschlussvorlage vorsichtshalber nicht zusammen, sondern versteckt die einzelnen Beträge in einer reichlich unübersichtlichen Darstellung.

Die Obergrenze von 1,7 Millionen Mark Mietzuschuss habe eine 70-prozentige Auslastung des Musicals vorausgesetzt, erklärt nun Wirtschaftssenator Hattig den Parlamentariern ihren eigenen Beschluss, und da die von Anfang an nicht erreicht worden sei, seien die Zuschüsse eben höher gewesen: Im Jahre 1999 wurden 2,8 Millionen Mark fällig, „aktueller Planwert“ für das Jahr 2000 liegt bei 3,1 Millionen Mark Zuschuss. Je geringer die Zahl der verkauften Karten, des-to höher der Zuschuss – so einfach ist die Verabredung. Und während im Vertrag von der „Auslastung“ der Plätze die Rede ist, wird nun eingeräumt, dass es um die „den einzelnen Kapazitätsstufen zugeordneten Planumsätze“ geht, zu Deutsch: 1999 hat das Musical zehn Prozent seiner „verkauften“ Karten nicht verkauft, sondern verschenkt. Wenn die Erfolgszahlen nach außen dargestellt werden, sind diese Plätze dabei; wenn intern die Subventionsquote berechnet wird, werden die Plätze abgezogen. Auslastung im ersten Jahr: 60 Prozent.

Bremen bleibt keine Wahl, als die steigenden Zuschüsse zu zahlen. Entgegen der ursprünglichen Planung hat die staatliche HVG die 54 Millionen Mark für den Umbau voll finanziert. Das bedeutet: Wenn das Musical jetzt abgebrochen werden sollte, dann bleibt das Land auf diesen Kosten sitzen. Begründung damals: Die privaten Musical-Betreiber hätten es nicht geschafft, 75 Prozent der Produktionskosten für das Musical einzuwerben. „Um die gefährdete Finanzierung der Produktion des Musicals sicherzustellen“, hätte die HVG damals das gesamte 54-Millionen-Mark-Risiko des Umbaus übernehmen müssen. Auch an anderer Stelle waren private Unternehmer sehr vorsichtig: Es fand sich kein Pächter, der die Gastronomie im Musical-Theater übernehmen wollte. (Folge: Drei Millionen Mark fehlen in der Bilanz allein für 1999).

Darüber hinaus haben staatliche Gesellschaften das gesamte Marketing und den Kartenverkauf für das Musical übernommen. Bremens Staatsfirmen „erstatteten der Produktions-KG“ des Musicals dafür regelmäßig Geld, steht nun im Bericht des Wirtschaftssenators. Eine Tabelle der „Kostenerstattungen der HVG und der BTZ an die Produktions-KG“ listet für die Jahre 1999-2000 insgesamt 3,2 Millionen Mark auf.

„Sanierung“ des Musicals bedeutet jetzt, dass das staatliche Engagement direkt und indirekt erhöht werden soll. Über die „Bremen-Service-GmbH“ (BSG) wird zum Beispiel der Kartenverkauf abgewickelt, die bekommt dafür Verkaufsprovisionen und eine jährliche Pauschale von 500.000 Mark. Auf diese Pauschale, die schon 1999 nicht gezahlt wurde, soll die BSG jetzt für alle drei Jahre der Laufzeit von Jekyll & Hyde verzichten, also bis 2001, so steht es im Sanierungs-Konzept. Ob die Sparkasse, die mit 25 Prozent an der BSG beteiligt ist, dem zustimmt, ist offen. Die Banker haben einen „Betriebsmittelkredit über 900.000 Mark gegeben und wollen diesen auf 500.000 Mark zurückführen.

Die HVG hat ein Gutachten zur Lage des Musical bestellt. Die Gutachter haben festgestellt, dass die „Kostenansätze knapp kalkuliert“ sind und dass das Risiko vor allem bei den hohen Besucher-Prognosen liegt. Die Grünen sind als Oppositionspartei so frei, es direkt aussprechen zu können: Die neuen Prognosen sind so unrealistisch wie die alten. Sie wollen der Zwölf-Millionen-Spritze morgen in den Wirtschaftsförderausschüssen daher nicht zustimmen, so die Abgeordnete Helga Trüpel. Ihre Prognose: Das wird nicht die letzte Finanzspritze sein. K.W.