Kartei wird ausgewertet

Zwangsarbeiterdatei nach mehr als 50 Jahren in Werksbunker der Elektrik-Werke Lorenz in Tempelhof gefunden. Mehrere tausend Namen vor allem aus Westeuropa

Der Verein „Berliner Unterwelten“ hat seine Angaben über eine vergessene Zwangsarbeiterkartei präzisiert, deren Entdeckung in einem früheren Werksbunker am Wochenende gemeldet wurden. Demnach enthält die Datei mehrere tausend Namen von nach Deutschland verschleppten Menschen, die hier ausgebeutet wurden.

Die Zwangsarbeiter mussten für die Elektrik-Werke Lorenz in Tempelhof schuften. Ihre Namen waren auf Metallplatten gesammelt. Die Kartei ist Tonnen schwer und lagerte in einem Bunker, der mehr als 50 Jahre verschlossen war. Der Verein „Berliner Unterwelten“ erforscht seit Jahren unterirdische Stätten.

Die Zwangsarbeiterkartei war schon Anfang dieses Jahres gefunden worden. Die Platten waren von einer dicken Staubschicht bedeckt. Sie wurden sichergestellt und bereits wissenschaftlich ausgewertet. Nach Informationen des Vereins wurden die Platten in einer Art Vorform der maschinellen Datenverarbeitung genutzt. Auch für die Technikgeschichte soll der Fund von Bedeutung sein.

Wie der Vorsitzende des Vereins „Berliner Unterwelten“, Dietmar Arnold, erklärte, stammte ein Großteil der Zwangsarbeiter aus Westeuropa. Die meisten Verschleppten kamen aus Belgien und Frankreich, einige auch aus Ost- und Mitteleuropa: der Ukraine, Weißrussland, Russland und Polen.

Laut Arnold sind die Daten als Nachweis der Verpflichtung zur Zwangsarbeit geeignet. Ähnlich äußerte sich auch der rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Volker Beck. Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter konnte gestern nur mitteilen, dass die Elektrik-Werke Lorenz nicht zu den Unternehmen gehören, die für ehemalige Zwangsarbeiter Entschädigung zahlen. Allerdings hat die Initiative auch keine Informationen darüber, ob diese Firma überhaupt noch existiert – und wenn ja, unter welchem Namen.

In Berlin waren während des Krieges Hunderttausende Zwangsarbeiter in mindestens 800 Betrieben beschäftigt. Für ganz Deutschland wird die Zahl der Zwangsarbeiter der NS-Zeit auf etwa 10 Millionen geschätzt. Berlin hatte viele von ihnen, da in der Hauptstadt viele Rüstungsbetriebe angesiedelt waren. Am Donnerstag will erstmals das Kuratorium der Stiftung zur Zwangsarbeiterentschädigung tagen.

PHILIPP GESSLER