Jenseits von Anzug und Abendkleid

■ Auch dieses Jahr glänzt das Musikfest Bremen mit den ganz großen Namen und feiert Etabliertes. Eine mögliche Definition von Festival – aber es gibt auch ganz andere. Ein Blick ins ferne Regensburg zeigt Alternativen auf

Jessye Norman einmal im Leben live erlebt haben! Oder die göttliche Hildegard Behrens. Und Zubin Mehta mit den Wiener Philharmonikern. Davon wird man einmal den Enkelkindern erzählen. Die Aura der Vielumjubelten schmecken zu dürfen, hat natürlich seinen verführerischen Reiz. Ein Reiz, mit dem auch das diesjährige Musikfest nicht geizt

Die geballte Invasion der Superstars ist natürlich nicht umsonst. Obwohl die Stadt immer wieder betont, dass privates Sponsoring die finanzielle Hauptlast trägt, wird immerhin noch jede Eintrittskarte mit circa 100 Mark an öffentlichen Geldern unterstützt. Und das, obwohl bei den so begehrten Gästen-von-außerhalb-Bremens – 30 Prozent sollen es sein – diejenigen aus Osterholz-Scharmbeck und Syke die radikale Mehrheit bilden dürften. Nackte Zahlen: Auf 23 Konzerte verteilen sich laut Geschäftsführerin Ilona Schmiel 24.600 Sitzplätze. Nachdem beim bisherigen Kartenvorverkauf schon hervorragende 60 Prozent an Frau und Mann gebracht wurden, wird mit einer Gesamtauslastung gerechnet, welche die des letzten Jahres von 85 Prozent vermutlich noch toppt. Diesen möglichen 21.000 verkauften Karten stünden dann an Fördergeldern 2,1 Millionen aus dem Wirtschaftsressort und 1,7 Millionen von privaten SponsorInnen gegenüber. 1,6 Millionen soll der Kartenverkauf erbringen. Ein Konzert kostet im Schnitt 230.000 Mark, eine Zahl, bei der jeder kommerzielle Anbieter vor Neid erblasst.

Das Klotzen mit großen Namen und das eher experimentierfeindliche, traditionalistische Programm (Brandenburgische Konzerte, Bruckners Achte, Dvoraks Cellokonzert bis hin zum Wunschkonzert „Weser-Kurier-Leser machen ein Programm“ mit Kaiserwalzer) wird nicht nur mit der unhinterfragbaren Qualität der InterpretInnen begründet, sondern auch mit dem Event-Zeitgeist und konservativer SponsorInnenmentalität.

Ein Interview mit dem Veranstalter eines radikal anderen Festivaltyps will an dieser Stelle daran erinnern, dass auch heute noch Feste möglich sind, die nach neuen Tönen suchen und dennoch ihr Publikum finden. Seit 16 Jahren gibt es die „Tage Alter Musik“ in Regensburg. Die Stadt zeigte sich am Anfang gnadenlos desinteressiert. Doch bis auf den letzten Platz gefüllte Säle, rege Resonanz in der überregionalen Presse, der Ruf, Szene-Trendsetter zu sein, eine Auswärtsquote von 50 Prozent (und zwar nicht aus den Nachbardörfern, sondern vorwiegend aus dem Münchner und Kölner Raum, aber auch aus der USA, Österreich, der Schweiz...) und nicht zuletzt das eine oder andere sensationelle Konzerterlebnis ermunterte SponsorInnen, Land und Stadt zu einem Zuschuss von insgesamt 80.000 Mark. So locken 13 Konzerte in vier Tagen bei einem Gesamtetat von 250.000 Mark etwa 6.000 BesucherInnen. Über das Konzept der „Tage alter Musik“ sprachen wir mit dem Festivalmacher Ludwig Hartmann.

taz: Bei Ihrem spärlichen Etat bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als die Musiker in einem Moment abzupassen, wo sie noch nicht zu Stars mit entsprechenden Gagenforderungen hochgepuscht sind.

Ludwig Hartmann: Das gelingt uns auch immer wieder. Zum Beispiel das US-amerikanische a- capella-Frauenquartett „Anonymus 4“ hatte seinen ersten Europaauftritt bei uns. Das war 1990. Nächstes Jahr können wir sie uns nur leisten, weil sie uns aus nostalgischen Gründen eine Art Entdecker-Sonderrabatt gewähren. „Il giardino armonico“ wurde uns von einer unbekannten, winzigen Plattenfirma angetragen. Wir waren damals restlos begeistert von deren Überschwang, heute sind es viele. Die Berliner Akademie für Alte Musik aus der ehemaligen DDR spielte 1988 bei uns die Brandenburgischen Konzerte mit wagemutigen Tempovorstellungen und einer Kompromisslosigkeit, die bislang völlig unbekannt war. Und die solistische Interpretation von Bachs Johannispassion durch den Amerikaner Joshua Rifkin war 1991, als er zu uns kam, hier zwar nicht ganz, aber relativ neu.

Das Publikum kommt trotz unbekannter Namen?

Es ist der Ruf, den wir uns im Laufe der Jahre erarbeitet haben. Außerdem, unser Publikum trägt nur zum geringen Teil Anzug und Abendkleid, und es weiß, dass Hammerflügelpianisten wie Steven Lubin oder Seth Carlin genauso spannende Musiker sind wie Ivo Pogorelich oder Friedrich Gulda, auch wenn sie mit ihrem Instrument und ihren Programmen niemals Starstatus erringen werden. Qualität ist nicht immer eine Frage des Preises.

Hegen Sie nicht doch im stillen Kämmerlein den heimlichen Wunsch, einen Gardiner oder Norrington einladen zu können?

Norrington war da, 1985, da war er noch günstig. Und natürlich haben wir den Wunsch nach mehr Geld. Aber nicht um uns die allseits bekannten Stars zu leisten, die an jedem beliebigen anderen Ort zu hören sind. Der Sinn des Festivals ist für mich und meinen Kompagnon Stephan Schmid das Aufspüren neuer Töne. Und die finden wir am ehesten in einer Szene, die ich gerne Freelancer-Gemeinde nenne. Auch wenn es manche bestreiten: Noch immer gibt es neue Wege zu entdecken, Bach zu spielen, neue Phrasierungen, neue Bogentechnik, neue Agogik, und entwickelt werden sie von jungen unabhängigen Ensembles, deren Spielweise noch nicht zum Markenetikett festgefroren ist.

Wo wird man fündig?

Bei den Festivals in Brügge oder Utrecht, aber vor allem durch Empfehlungen aus der einschlägigen Musikerszene oder auch mal bei ganz kleinen CD-Produktionen. Immerhin sichten wir pro Jahr etwa 200 Tonträger.

Wie mutig kann die Programmkonzeption sein?

Ein Programm, das sich ausschließlich der Renaissancemusik in Spanien widmet ist ebensowenig ein Problem wie zum Beispiel die Gruppe Hesperus, die mit Banjospieler das Crossover zwischen Alter Musik und Blues unternimmt.

Gab es Reinfälle?

Dieses Jahr, ganz grausam. Der Versuch eines neuen Festivalkonzepts „Tage alter und neuer Musik“ scheiterte beim Programmteil neue Musik. Besuchertechnisch war das ein Desaster. Leider muss das ein einmaliger Versuch bleiben.

Fragen: Barbara Kern

Am Freitag beginnt das Bremer Musikfest mit Jessye Norman als Jazzsängerin (Duke Ellington: Sacred Concerts; eine eigene Ankündigung dieses Konzerts auf unserer Kulturseite folgt noch ). Es folgen u. a. Brecht/Weill „Mahagonny“ (8. September), Bruckners Achte mit den Wiener Philharmonikern (9. September), Brandenburgische Konzerte, geleitet von Monica Huggett (10. September), drei mal Mozart mit Andras Schiff und Quatuor Mosaiques (17.,18.,20. September), J. E. Gardiner dirigiert Bachkantaten (28.,29. September). Infos 33 66 600, Karten 33 66 99