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■ In der neuen IT-Branche zählen die Gewerkschaften so gut wie gar nichts / Kreative vertrauen lieber auf ihre Eigenvermarktung / Gewerkschaften haben nicht nur ein „Kapazitätsproblem“

„Viel Spaß“, verabschiedet sich Detlef Hanke am Telefon. Gute Laune ist ein wichtiger Faktor in der Branche, die der 1. Vorsitzende von „bremen multimedial“ vertritt. Die Mitarbeiter sind jung und begehrt, sie sind kreativ, arbeiten fleißig an ihrer Selbstverwirklichung und am Erfolg ihrer Firma – gern auch nach Feierabend. Konflikte mit der Geschäftsführung werden freundschaftlich ausdiskutiert. Ein Paradies der Werktätigen? Fest steht, dass die Gewerkschaften größte Probleme haben, im Multimedia-Bereich Fuß zu fassen.

In Bremen ist nur ein winziger Prozentsatz der Beschäftigten organisiert. „Die Tendenz geht gegen Null“, schätzt Multimedial-Präses Hanke, der mit 130 Mitgliedsfirmen einen großen Teil der heimischen Branche vertritt. Bei den vielen neuen Kreativ-Klitschen, die mit web-design oder e-commerce ihr Geld verdienen, sei man praktisch gar nicht präsent, bestätigt der Bezirksleiter der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG), Werner Klimm. Es gibt keine Betriebsräte, und auch ein Arbeitgeberverband, mit dem man Tarife aushandeln könnte, existiert nicht.

„Da habe ich keinen Spaß dran“, sagt Multimedial-Hanke, der Gewerkschaften in seinem Bereich für nicht mehr zeitgemäß hält. Devise: Jeder ist sein eigener Unternehmer. Insgesamt sollen bundesweit weniger als fünf Prozent der Beschäftigten – darunter zahlreiche Freiberufler – der IT-Multimedia-Branche organisiert sein. In der Hauptsache sind es Firmen mit durchschnittlich 20 Mitarbeitern, die sich im gewerkschaftsfreien Raum bewegen.

„Dieser Bereich ist von uns ganz schwer in den Griff zu kriegen“, berichtet DAG-Mann Klimm. Man habe ein „Kapazitätsproblem“, sprich zu wenig Personal. Doch das ist auch aus seiner Sicht nicht die Hauptursache. In der Branche herrsche Aufbruchstimmung, es würden kompetente junge Leute gesucht, jeder glaube, individuell am meisten erreichen zu können. Da sei es schwer zu vermitteln, dass Gewerkschaften noch wichtig sind. Gründe dafür gibt es aus Klimms Sicht genug.

Kündigungsschutzfristen etwa seien in vielen Betrieben völlig unbekannt. Die tägliche Arbeitszeit betrage zum Teil 14 bis 15 Stunden. Bestenfalls würde es Haustarifverträge geben – oder gar nichts dergleichen. Klimm befürchtet, dass es bei steigendem Arbeitskräfteangebot zukünftig immer schwieriger werden wird, „sich selbst zu verkaufen“. Aus der Branche selbst ist zu hören, dass gerade Grafik-Designer unter enormem kreativem Druck stehen würde: Nach zwei Jahren seien viele völlig ausgelaugt und verlören rapide an Attraktivität für ihre Arbeitgeber, schätzt ein Fachmann. Mit Mitte 30 ist man bereits ein alter Hase.

Ein Besuch auf der „Farm“. Die Designagentur im ehemaligen Sozialamt an der Martinistraße hat sich auf das Internet spezialisiert und beschäftigt sieben feste Mitarbeiter, einige feste Freie und holt sich bei Bedarf Verstärkung von außen. Einer der Angestellten, ein 30-Jähriger in dezentem Anthrazit, gibt Auskunft über die „andere“ Arbeitsethik im Hause.

Denn: Sein Job habe etwas mit Selbstverwirklichung zu tun, nicht mit Maloche, „toll, dass man dafür bezahlt wird“. Der Anspruch an sich selbst ist es, der ihn umtreibt. Zur Zeit entwickelt der gelernte Modedesigner einen Internet-Auftritt für eine Baumschule, „eine der größten in Deutschland“. Gewerkschaften? „Das kannst Du hier alles vergessen“, sagt er, „ich wüsste nicht, welche Institution mich besser vertreten sollte, als ich selbst.“ Die Farm ist für ihn nur eine Zwischenstation. „Irgendwann werde ich weggehen, das ist klar.“

Auch Silke Selting von der „artundweise GmbH“ macht deutlich, warum sie Flexibilität in ihrem Bereich für wichtig hält. Beim Geld beispielsweise: Es sei schwierig, das Gehalt an bestimmte Ausbildungs-Abschlüsse zu koppeln, da es auf die tatsächliche Qualifikation ankäme. Viele Mitarbeiter im Internet-Bereich sind Quereinsteiger. Bei „artundweise“ – einer Firma mit 38 Mitarbeitern – werden die Gehälter „ausdiskutiert“. Konflikte auch in anderen Bereichen würden freundschaftlich gelöst, so Selting. Sie berichtet aber auch von dem enormen Stress und „engen timings“, bis ein Produkt endlich online sei. Aber auch hier zähle Flexibilität: Wenn jemand einmal „ausgebrannt“ sei, müsse eine Erholungsphase drin sein. Wie ihr Kollege von der Farm bringt sie Gewerkschaftsarbeit mit Bürokratie in Verbindung.

Also: Quo vadis, Gewerkschaften? DAG-Mann Klimm meint, dass eine bessere Außenwirkung von Nöten ist. „Kontaktbüros“ an den Universitäten beispielsweise sollen die künftigen Berufstätigen auf den Geschmack bringen. „Wir müssen dazulernen“, hat Klimm erkannt, und meint damit unter anderem flexiblere Arbeitszeitregelungen. Seine Hoffnungen ruhen auf der Mega-Dienstleistungsgesellschaft ver.di, zu der sich DAG, DPG, HBV und IG Medien 2001 zusammenschließen wollen – notfalls auch ohne die ÖTV.

Durch eine Einrichtung mit der Abkürzung TIM („Telekommunikation, Informationstechnologie, Medien“) soll das eigene Negativ-Image abgebaut werden. Ansprechpartner will man sein, sich in der Weiterbildung engagieren und an festen Berufsbildern feilen. In Hamburg wurde bereits ein gewerkschaftliches „Multimedia-Büro“ eingerichtet.

Die Gewerkschaften müssten sich anpassen, meint auch Multimedial-Mann Hanke. Der klassische Faktor der Austauschbarkeit von Arbeitskräften – wie früher im industriellen Bereich – sei heute doch gar nicht mehr vorhanden. Das Kollektiv als Organisationsform hat aus seiner Sicht ausgedient. Heute gebe es eine „immens große gegenseitige Abhängigkeit“ von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die einfache Ursache: Der Mangel an hochqualifizierten Spezialisten. Die jungen Leute würden heute ganz klar ihre eigenen Interessen formulieren – Prämien, Gewinnbeteiligung, Aktienoptionen seien begehrt, hat Hanke festgestellt. Jeder ist sein eigener Unternehmer – ob es ihm Spaß macht, oder nicht. hase