Chevènement macht nicht mehr mit

Frankreichs Innenminister tritt aus Ärger über die Korsika-Politik von Premierminister Lionel Jospin zurück. Damit fehlt der Regierung ein Mann mit Charisma. Der angeschlagenen rot-rosa-grünen Koalition droht schon bald weiterer Streit

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Mit Bedauern“, gab der französische Regierungschef gestern den längst absehbaren Rücktritt seines Innenministers Jean-Pierre Chevènement bekannt. Dazu habe die „unterschiedliche Einschätzung der Korsika-Politik der Regierung“ geführt, heißt es lapidar in dem Kommuniqué, in dem Lionel Jospin zugleich seine Verdienste in den vergangenen drei Jahren lobt. Nachfolger des scheidenden Innenministers mit dem großen Charisma wird ein graues Mäuschen aus dem engsten Jospin-Umfeld: der bisherige Minister für die Beziehungen zum Parlament, Daniel Vaillant.

Der Neue muss demnächst das zweistufige Autonomiestatut der rot-rosa-grünen Regierung für Korsika im französischen Parlament verteidigen, das Chevènement laut und öffentlich kritisiert hat. Der zurückgetretene Innenminister, Chef der sozialistennahen „Bürgerbewegung“, war erstens strikt dagegen, dass Jospin auch jene korsischen nationalistischen Politiker an den Verhandlungstisch lud, die nicht bereit sind, die Gewalt ihrer vermummten Truppen zu verurteilen, und die sich nicht von den Mördern in ihren Reihen distanzieren. Zweitens lehnt Chevènement ein Autonomiestatut ab, das in seiner zweiten Phase, die im Jahr 2004 beginnen soll, die Übertragung von gesetzgeberischen Kompeten-zen von Paris an das Inselparla-ment vorsieht. Zweierlei Recht für die Bürger einer einzigen Republik – das ist inakzeptabel für Chevènement.

Schon zwei Mal hat Chevènement linke Regierungen aus prinzipiellen Erwägungen verlassen: 1983 aus Protest gegen die Austeritätspolitik und 1991, weil er gegen die französische Beteiligung am Golfkrieg war. Dieses Mal erklärte Chevènement vor der Sommerpause kategorisch, ein Autonomiestatut, das mit Freunden von Gewalttätern und unter dem erpresserischen Druck bewaffneter Gruppen ausgehandelt sei, würde „zwangsläufig“ eine neue Gewaltwelle auslösen.

In den vergangenen Wochen, in denen ein bekannter Nationalist auf Korsika ermordet wurde und mehrfach Bomben staatliche Einrichtungen auf der Insel zerstörten, schien die Realität dem Innenminister recht zu geben. Doch Jospin hielt an seinem Plan fest. Chevènement, in dessen Amtsperiode als Innenminister der Mord des ihm direkt unterstellten Präfekten Erignac, auf offener Straße in Korsika fiel, wich seinerseits nicht von dem Beharren auf der „Integrität der Republik“ ab.

Die rot-rosa-grüne Regierung wird mit Chevènements Rücktritt um einen wichtigen Farbton ärmer. Außer den Grünen bedauerten sämtliche Regierungsparteien Chevènements Schritt. Auf Seiten der konservativen Opposition meldeten sich bereits Politiker, die ihn einluden, eine gemeinsame „souveränistische“ Organisation zu gründen – um gegen die Zerschlagung der französischen Republik und gegen die immer weitergehende Kompetenzübertragung an Brüssel zu kämpfen.

Chevènements Rücktritt erschien in Paris seit Anfang des Sommers als ausgemachte Sache. Seit der rentrée – der Anfang vergangener Woche eingeleiteten Rückehr aus der Sommerpause – schien seine Position innerhalb der rot-rosa-grünen Regierung an Terrain zu gewinnen. Mehrere Minister, allesamt Sozialisten aus Jospins eigener Partei, meldeten sich mit „Sympathie“ und „Verständnis“ für ihn zu Wort.

Ein Jahr vor den Komunalwahlen und zwei Jahre vor den Parla-ments- und Präsidentschaftswahlen musste Premierminister Jospin schnell handeln, um lang anhaltenden Streit zu vermeiden. Zumal schon am 24. September eine weitere Frage ansteht, in der die Koalitionäre höchst kontroverse Positionen vertreten: Beim Referendum über die Verkürzung der präsidialen Amtszeit will der Premierminister dafür stimmen, empfehlen die Kommunisten eine Enthaltung und wollen die Grü-nen, in deren Reihen das „Non“ stark ist, ihren Anhängern freie Wahl lassen.

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