„Das Geilste ist der Schmerz“

Gesindel am Elbstrand: Finstere Gestalten verführen unsere Jugend und verdienen an illegalem Lupen-Branding  ■ Von Eberhard Spohd

Gestern waren die Halunken wieder zufrieden. Ausgestattet mit Desinfektionsmittel und Vergrößerungsgläsern lungerten sie wieder vor der Strandperle herum und warteten auf die Jugendlichen, die sich den letzten Kick geben wollen. Wie schon den ganzen Sommer über. Die „Dienstleistung“, die sie anbieten, ist in Deutschland strikt untersagt: Lupen-Branding.

„Die sind jeden Tag hier, wenn die Sonne scheint“, beklagt sich eine ältere Anwohnerin, „und nachmittags komme ich kaum zu meinem Schläfchen, wegen der lauten Schmerzensschreie.“ Denn im Gegensatz zum „normalen“ Branding, bei dem den Vergnügungssüchtigen mit einem Brandeisen bleibende geometrische Mus-ter in die Haut gebrannt werden, dauert der Prozess mit dem optischen Hilfsmittel natürlich sehr viel länger. Bis die bleibenden Markierungen sich eingeschrieben haben, brauchen die Schurken eine ruhige Hand und die kraftvolle Strahlung unseres Zentralgestirns. „Bei einer größeren Figur dauert das bis zu sechs Stunden“, so bemerkt Thomas F. (19), dessen Oberarm das Star-Trek-Abzeichen ziert, „da kann man nur hoffen, dass überhaupt so lange die Sonne scheint.“

Eine Sitzung bei den Fieslingen kostet, je nach Komplexität und Größe des Musters, bis zu 550 Mark. Die Kriminalpolizei betrachtet das Treiben schon seit dem Frühjahr mit Argwohn. „Die Sonne muss natürlich kräftig genug sein, und mit Präzisionsinstrumenten müssen die Ganoven schon arbeiten, sonst hält der Schiet nicht“, sagt ein Beamter. Einschreiten kann er in den seltensten Fällen. „Wenn wir auftauchen legen die sich einfach in den Sand und machen auf Insektenforscher.“ Nur in flagranti könnten die Bösewichte überführt werden. Da muss man Verständnis aufbringen: Welcher Polizist ließe freiwillig ein Lupen-Branding über sich ergehen? „Immerhin können wir dankbar sein“, so einer der Kriminalen, „dass diese Dunkelmänner die Wunden wenigstens desinfizieren.“

Das ist aber nur die kleinste Gefahr. „Natürlich kann es zu Entzündungen kommen“, beschreibt ein Dermatologe die medizinische Wirkung des verbrecherischen Tuns. Viel schwerwiegender sei der direkte Eingriff in die epidermologische Schichtstruktur unserer körpereigenen Oberfläche. „Um sich das klar zu machen“, vergleicht der Wissenschaftler, „muss man nur einmal darüber nachdenken, was wir alles mit der Haut machen.“ Und was mit verbranntem Gewebe dann nicht mehr geht.

Das ist Thomas egal: „Das Geils-te ist der Schmerz. Da gehst du voll an deine Grenze.“ Seine Freundin Aishe K. (17) stimmt ihm zu. „Außerdem laufen heute zu viele herum, die sich Blech ins Gesicht piercen lassen“, befindet sie. Ein Lupen-Branding sei dagegen ganz individuell. „Das Glänzen der Haut kriegst du nur mit dem Vergrößerungsglas hin.“ Dafür nimmt sie die aufwendige Prozedur gerne in Kauf, immer wieder: „Da wird man voll süchtig nach.“

Zum Glück hat der trübe Sommer den Ganoven die Suppe gründlich verhagelt. So gammeln sie vor der Strandperle herum und versuchen sich mit Hütchenspielen über Wasser zu halten. „Aber Mitleid mit diesen Taugenichtsen“, so ein Kriminalbeamter, „ist wirklich das Letzte, was angebracht wäre.“