pampuchs tagebuch: Friedrich Nietzsche mit FAQ und RealAudio
Eigentlich wollte ich ja über meine weiteren Abenteuer mit ISDN berichten, die mich immerhin fast zwei Tage Lebenszeit gekostet haben. Aber jetzt ist mein Kistchen – ISDN die Möglichkeit! – wirklich kompatibel, und ich atme frei. Der Weise hakt den Ärger ab, genießt und schweigt. Ganz allgemein – das gebietet mir mein Wächteramt – will ich aber allen, die sich ISDNisieren, nur sagen: Seht das Ganze als eine notwendige Schulung über die Unzulänglichkeit menschlichen und technischen Wirkens, verzweifelt nicht in den Weiten der Warteschleifen, wappnet euch mit Demut und erkennt, dass jeder Fortschritt – und seien es auch nur ein paar Sekunden schnellerer Bildaufbau – seinen Preis hat.
Nein, ich will über etwas anderes berichten. Etwas, was mir im Gefolge meines Wochenendurlaubs in Zürich und Basel untergekommen ist, den ich mir nach all den „Ich bin immer noch nicht drin“-Mühen redlich verdient hatte. Die Reise habe ich philosophisch angelegt, allerlei Nietzsche-Todestag-Artikel sowie meine alte Nietzsche-Ausgabe mitgenommen. Auf den Basler Spuren des Denkers wollte ich wandeln, mich seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ hingeben, um auch dem kleinsten Hinweis auf unser Chaos heute nachzuspüren. Im Zug bis Zürich brachte ich die wichtigsten Nietzsche-Feuilletons hinter mich und war bereit, mich in die knallrote Hanser-Ausgabe zu graben, die seit 25 Jahren in meinem Regal für Farbe und Tiefe sorgt.
Erst mal musste ich aber am Schwimmen in der Limmat teilnehmen, die Niederdorf-Festlichkeiten und das Theaterspektakel am Mythenquai begutachten und einen Film im Original sehen. So blieb nur Zeit, am Sonntagmorgen die höchst bedenkenswerte Betrachtung „Vom Nutzen und Nachteil der Historie“ zu lesen, die mit dem schönen Wort schließt, dass jeder „das Chaos in sich organisieren [muss], dadurch, dass er sich auf seine echten Bedürfnisse zurückbesinnt“. Das tat ich in Basel, wo ich meine Schweizer Freundinnen in ein Puppentheater ziehen ließ, während ich versonnen in der Nietzsche-geschwängerten Luft dem Meister nachspürte.
Den wirklich gerundeten Bogen zum Internet habe ich aber doch erst am heimischen, nunmehr schnellen Laptop gefunden, auf der „Nietzsche Page“ von Douglas Thomas, Professor an der University of Southern California (nietzsche.usc.edu/). Sie enthält alle Werke Nietzsches komplett (auf Deutsch!) plus Briefe, Fragmente und Tagebücher, Diskussionen und Biografisches (samt Fotos und RealAudio-Musikstücken). Dazu eine Database mit Suchmaschine, FAQs sowie erhellende Ausflüge in die amerikanische „Nee-cha“-Rezeption, zu der auch ein Nietzsche-T-Shirt-Link gehört, der es erlaubt, zum Stückpreis von 14,85 Dollar Leiberl zu ordern, um sich mit Botschaften wie „Plato is a bore“ zu brüsten.
Was wäre dem kränkelnden Basler Professor, der am „Übermaß von Historie“ litt, nicht alles Böses zum Übermaß des World Wide Web eingefallen! Sicher „dass Kultur auch noch etwas anderes sein kann als Dekoration des Lebens, das heißt im Grunde doch nur Verstellung und Verhüllung; denn aller Schmuck versteckt das Geschmückte.“ Es scheint, als habe Nietzsche sich selbst als Netz-T-Shirt vorausgeahnt. THOMAS PAMPUCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen