Rechercheur des Grauens

Willi Dreßen leitete mehr als dreißig Jahre lang die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen

33 Jahre lang lag das NS-Grauen täglich auf seinem Bürotisch. Nun geht er in den Ruhestand: Willi Dreßen, der Mann, der forschte, wer in brauner Uniform mordete, folterte und dann seine Spuren verwischte. Der Oberstaatsanwalt und Leiter der Ludwigsburger „Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen“, ist ob der 100.000-fachen Recherche ernst geworden – und ein bisschen resigniert.

Damals, 1958, als die Zentralstelle gegründet wurde, steckte Deutschland noch mittendrin im Leugnen, Sich-gegenseitig-Decken, Nicht-wahrhaben-Wollen. Staatsanwälte ließen Akten verschwinden, anonyme Briefeschreiber wetterten, dass doch mal Schluss sein müsse mit der Aufarbeitung der Vergangenheit. Als Dreßen 1967 zur Zentralstelle kam, „riet man mir gleich: Sagen Sie nicht, wo Sie arbeiten, so kriegen Sie keine Wohnung“.

Der damalige Oberbürgermeister habe von einem „Geruch“ gesprochen, der über der Stadt hänge. Die Mitarbeiter schweißte das zusammen – „17 behördeninterne Ehen wurden damals geschlossen“. Dann kamen die 68er. Die junge, nicht mehr unmittelbar betroffene Generation wollte nun doch wissen, was los war in den Nazi-Jahren. Die Zentralstelle forschte weiter, verfolgte die Spuren von Kriegsverbrechern auch auf andere Kontinente. Ihr Ansehen wuchs. Auch im Ausland ist sie längst hoch renommiert.

Dennoch ist Dreßer nicht zufrieden mit der Bilanz seines Berufslebens: „Von den 100.000 Personen, gegen die wir vorermittelt haben, sind nur knapp 6.500 verurteilt worden.“ Ein bisschen schade sei es außerdem, dass die Ludwigsburger Behörde nicht selber Leute vor Gericht bringen kann. Sie sammelt lediglich Informationen, die sie an die Staatsanwaltschaft weitergibt. Immerhin: „Das Echo auf unsere Arbeit ist ungleich positiver als in den Sechzigerjahren“.

Als einen, der „sich sehr engagierte, auf seine ernste, nachdenkliche Art“, beschreibt Christoph Schminck-Gustavus, Professor für Rechtsgeschichte in Bremen, den Chef der Zentralstelle. Und als „verdienstvollen Streiter“ in den Jahren, als NS-Täter noch von der Gesellschaft gedeckt wurden. Er sei jemand, der nicht nur verantwortliche Juristen, sondern auch Historiker bei Recherchen unterstütze, die ohne seine Materialsammlungen nicht möglich wären.

Wie Dreßen damit lebt, tagtäglich das Grauen zu erforschen? „Ohne privaten Ausgleich kann man diesen Beruf nicht durchhalten“, gibt der verheiratete Vater zweier erwachsener Kinder zu. „Ich spiele Theater und lese Gedichte“ – damit er nicht den Glauben an das Schöne im Leben verliere. COSIMA SCHMITT