Eine Telefonnummer für 500.000 Antragsteller

Papierkrieg in Polen: Von den Schwierigkeiten, als ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter zu seinem Recht und zu seinem Geld zu kommen

WARSCHAU taz ■ Die Vorstandssekretärin der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ in Warschau kreischt in den Telefonhörer: „Rufen Sie gefälligst da an, wo alle anrufen!“ Auf den Hinweis, dass da dauerbesetzt sei, hat sie nur ein pampiges „Extrawürste gibt’s nicht“ übrig. Dann knallt sie den Hörer auf die Gabel. Die Stiftung hat vor wenigen Wochen eine Infolinie für ehemalige Zwangsarbeiter eingerichtet. Eine einzige für rund 500.000 Menschen, die für das „Dritte Reich“ in Deutschland zur Arbeit gezwungen waren und heute noch am Leben sind, und eine weitere für rund 40.000 Menschen, die in Österreich arbeiten mussten. Zwei weitere Nummern der Stiftung sind tot. Die bestehenden Leitungen sind hoffnungslos überlastet. Schließlich wollen alle ehemaligen Zwangsarbeiter wissen, wann die Auszahlungen beginnen soll, ob neue Anträge zu stellen sind und mit welcher Summe zu rechnen ist.

Die Stiftung hat unter den Opfern einen schlechten Ruf. Immer wieder haben sie deutsche und österreichische Politiker gebeten, die Entschädigung doch direkt von den Botschaften und Konsulaten auszahlen zu lassen. Oder eine neue Stiftung ins Leben zu rufen. Doch angesichts einer über zehn Jahren gewachsenen Personendatei von rund 700.000 ehemaligen Zwangsarbeitern und 200 Angestellten, die sich mit den Datenbeständen auskennen, rückten die Bedenken in den Hintergrund.

Gegründet wurde die Stiftung kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Bonn hatte sich bereit erklärt, den besonders hart betroffenen Opfer des NS-Systems zumindest eine „humanitäre Hilfe“ zukommen zu lassen. Anders als die in Westeuropa, in Israel und Amerika lebenden Opfer hatten diejenigen in Osteuropa auch knapp 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch keine Entschädigung oder Hilfe aus Deutschland oder Österreich erhalten. Bonn überwies 1992 und 1993 insgesamt 500 Millionen Mark, die Stiftung tauschte die Devisen in Zloty um, wohl wissend, dass die Abwertung des Zloty um 25 Prozent unmittelbar bevorstand. Nach der Transaktion war von der ursprünglichen Summe nur noch ein Gegenwert von 375 Millionen Mark übrig.

Der Stiftungsvorstand verteidigte sich damals mit Devisengesetzen, die den Umtausch erzwungen hätten. Warum es nicht möglich war, in diesem Fall bei der Regierung eine Ausnahmeregelung zu erreichen, bleibt eine offene Frage. Kurz darauf zahlte Stiftungsdirektor Bronislaw Wilk der Consultingfirma Baltic Brokers in Zoppot über 1,5 Milliarden Zloty, damals 152.000 Mark, für ihre Dienste und vertraute danach – entgegen dem Rat der Firma – 50 Milliarden Zloty (5 Millionen Mark) aus dem Stiftungsvermögen einer Bank an, die wenig später Bankrott anmelden musste. Da Wilk im Namen der Stiftung mit dem Geld eine Bürgschaft für Not leidende Kredite übernommen hatte, die nicht zurückgezahlt wurden, war das Geld verloren. Das Untersuchungsverfahren, das daraufhin gegen Wilk eingeleitet wurde, ist bis heute nicht abgeschlossen.

Angeblich war die Investitionspolitik der Stiftung in den folgenden Jahren so erfolgreich, dass nicht nur die Verluste von 1993 und 1994 ausgeglichen werden konnten, sondern darüber hinaus sogar ein so erheblicher Gewinn erwirtschaftet wurde, dass die Stiftung 1997 diese Summe in einer zweiten Auszahlungsrunde an die Opfer verteilen konnte. Von den über 700.000 Personen, die Anträge eingereicht hatten, erhielten bis zum März 1999 533.020 einen Scheck von der Stiftung. Die durchschnittliche Summe lag bei rund 700 Mark.

Da die Stiftung sich lange weigerte, mit dem Internationalen Suchdienst in Arolsen zusammenzuarbeiten, fehlen bis heute vielen tausend Opfern die notwendigen Dokumente. Inzwischen stapeln sich die Anfragen in Arolsen in solchen Mengen, dass es Jahre dauern kann, bis die hochbetagten Opfer eine Antwort bekommen.

Mit Bartosz Jalowiecki hat im April ein 28-jähriger Jungpolitiker, der dem nationalkonservativen Flügel der „Wahlaktion AWS“ nahe steht, die Leitung der Stiftung übernommen. Er hat angekündigt, die 2 Milliarden Mark aus Deutschland sowie die noch unbekannte Summe, die aus Österreich zu erwarten ist, zügig an die Opfer zu verteilen.

GABRIELE LESSER