Sohn, erfolgreich gescheitert

aus Basel PHILIPP MAUSSHARDT

Wenn Arthur Cohn am Nachmittag sein Lieblingsrestaurant in der Kunsthalle von Basel betritt, geht kein Raunen durch den Speisesaal. Nur wenige Köpfe drehen sich um. Der Präsident der Schweizer Tennishallen-Vereinigung grüßt kurz herüber, und eine junge Dame winkt Cohn vom Nachbartisch aus zu. Die Basler sind nicht gerade bekannt für leidenschaftliche Ausbrüche – doch viele wissen auch gar nicht, wer hier eben Platz genommen hat: Dass Arthur Cohn der erfolgreichste Filmproduzent aller Zeiten ist, weiß man vielleicht in Hollywood. Aber in Arthur Cohns Heimatstadt ist der Schweizer Fußball-Nationaltorwart Pascal Zuberbühler allemal berühmter.

Hätte die gleiche Szene in einem In-Lokal in Los Angeles stattgefunden, Faye Dunaway wäre am Nachbartisch ein spitzer Schrei entwichen, Jack Nicholson vom Stuhl aufgesprungen, und Michael Douglas hätte den Fisch auf seinem Teller kalt werden lassen, nur um seinen Freund Arthur zu umarmen.

Nicht eine Homestory

Der Mann, der als Filmproduzent bislang sechs Oscars gewann (siehe Kasten), so viele wie kein Mensch zuvor, ist in der Öffentlichkeit ein kaum beschriebenes Blatt. Noch nie erschien in irgendeiner Zeitung eine „Homestory“ über Arthur Cohn. Wenn er Journalisten einlädt, dann in sein „Wohnzimmer“, das Kunsthallen-Restaurant. Die Farbe seiner Sofakissen, die Muster der Tapeten in seiner Basler Etagenwohnung, die möglichen Affären seiner Töchter, selbst sein Alter sind ein Geheimnis, das niemand lüftet, weil Arthur Cohn, wenn er überhaupt einmal danach gefragt wird, immer darum bittet: „Bitte nichts Privates!“ Und diesem Mann mit den freundlich-wachen Augen und dem clownartig-buschigen Haarkranz eine Bitte abzuschlagen geht schließlich nicht.

Aber irgendwann wird Arthur Cohn doch privat, und dann redet er am liebsten über seine toten Eltern, Marcus und Rose Cohn. Sie liebt und verehrt er in einem Maß, dass er an seiner eigenen Grabrede nichts anderes gesprochen haben will als den Satz: „Er war ihr würdiger Sohn.“ Die Mutter schrieb Texte für das legendäre Schweizer Kabarett „Cornichon“, der Vater war in Basel ein angesehener Rechtsanwalt, gründete während der Diktatur der Nationalsozialisten das „Palästina-Amt“ in Genf und beschaffte auf diese Weise vielen jüdischen Emigranten aus Deutschland ein Einreisevisum nach Israel – eine Lebensversicherung. Später schrieb der Vater an Israels Verfassung mit.

Sohn Arthur stand als Heranwachsender lange im Schatten dieses Mannes und wollte wohl auch darum zunächst Jurist werden. Das Studium brach er jedoch ab, schrieb für Zeilengeld Sportberichte in Schweizer Zeitungen und fiel mit seinem ersten Drehbuch – Titel: „Am Leben vorbei“ – bei der US-Produktionsfirma Warner Brothers prompt auf die Nase. Das Buch kam umgehend zurück mit dem Hinweis: „Am Film vorbei.“ Also produzierte er selbst und nahm auf diesem Weg mächtig Einfluss auf das Drehbuch. Das konnte er vor allem mit jungen, unbekannten Regisseuren, die aushielten, dass Arthur Cohn nicht nur bei den Dreharbeiten fast immer dabei war, sondern auch noch im Schnitt die Schere führte. Der Erfolg der Filme gab ihm Recht.

Arthur Cohn bestellt eher beiläufig einen Seewolf. Nicht, dass ihm dieser Fisch besonders gut schmecken würde. Aus Essen macht er sich nur insofern etwas, als es ihm die Gelegenheit bietet, ein Gespräch zu führen. „Eigentlich ist es mir egal, ob auf meinem Teller ein Fisch oder ein Rührei liegt“, sagt er. Und meist haben alle anderen längst aufgegessen, da ist Cohns Teller noch kaum angerührt: Er spricht, er hört zu, er spricht.

„Entschuldigung“, so beginnt fast jeder seiner Sätze, „aber Herr Genscher ist wirklich ein Gentleman.“ Arthur Cohn spricht gerade über seinen neuesten, von einem Oscar gekrönten Film „Ein Tag im September“ (siehe Kasten) über den Terroranschlag von 1972 auf israelische Sportler während der Olympischen Spiele in München. Der damalige deutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher ist einer der Zeitzeugen, die in diesem Film auftreten, und Genscher habe „lange, sehr lange gezögert, das zu machen“, sagt Cohn. „Ich habe ihn mit dem Argument überzeugt, man würde die Weigerung in den USA nicht verstehen.“

Immer wieder verlässt Cohn sein Gesprächsthema (Film, Film, Film), um fix ein paar Komplimente für die anwesende(n) Frau(en) einzustreuen. Sein Charme ist Teil seiner Person. Niemand macht Komplimente wie er. Denn er meint es ernst: Und gerne zahlt frau zurück. „Arthur Cohn hat Augen wie der Wüstenwind“ (Faye Dunaway über Arthur Cohn), „er ist ein Herz auf zwei Beinen“ (Liv Ullmann über Arthur Cohn).

Unaufgeregter Filmer

Wer Arthur Cohn beschreiben will, beschreibt ihn über sein großes Herz. Wen er erst Freund nennt, für den tut er alles. Nur die „Swiss Telekom“ alleine weiß, was ihm der ständige Telefon-Kontakt zu all den Schauspielern, Regisseuren und Filmfreunden wert ist, die Cohn über die Jahre kennen gelernt und zu seinen Freunden gemacht hat. Er vergisst niemanden. Der große Regisseur Jean-Jacques Annaud verdankt ihm eben nicht nur die Karriere; er fand in Cohn einen lebenslangen Freund. Und immer hat er eine kleine Aufmerksamkeit dabei, mal eine ganz besondere Uhr, oder mal eben auch ein warmes Wort. Nie wird Liv Ullmann ihm vergessen, wie er, nur um ihr für eine bevorstehende Operation alles Gute zu wünschen, von Zürich nach Boston flog, ihr die Hand drückte und sofort wieder zurückreiste. Vielleicht zählt deshalb Johannes Mario Simmel Arthur Cohn zu jenen 36 Menschen, die nach einer chassidischen Legende jeden Tag aufs Neue die Welt retten.

Wenn Arthur Cohn über seine Arbeit spricht, dann ist es vorbei mit der aufgeregten Welt des Filmgeschäfts. „Entschuldigen Sie mal“, sagt er, „einen Film sollte man erst dann realisieren, wenn er reif ist. Man muss warten können, bis alles stimmt, das Drehbuch, die Besetzung, der Schnitt ... Das haben die deutschen Filmemacher und Produzenten leider vergessen, und darum war auch kein deutscher Film in letzter Zeit mehr international erfolgreich.“ Cohn dagegen lässt auch schon einmal neun Fassungen eines Drehbuchs schreiben, bis er glaubt, das richtige gefunden zu haben. „Ich denke mit dem Herzen“, nennt er das.

Keiner seiner Filme war auf Anhieb in Europa ein Erfolg: Erst über den Umweg der USA, wo sie prämiert und bejubelt wurden, fanden sie den Weg in die Kinos der Alten Welt. Diese Erfahrung hat ihn so geprägt, dass er sie zum Credo erhoben hat: „Entschuldigen Sie bitte, aber die Musik im Filmgeschäft spielt eben nun einmal in Hollywood. Erst wer auf dem amerikanischen Markt erfolgreich ist, wird sich auch in Europa durchsetzen. Nicht umgekehrt. Entschuldigen Sie.“ Für sein Lebenswerk hat Arthur Cohn vor zwei Jahren einen „Star of Fame“, erhalten, einen Namen, eingelassen in den Hollywood Boulevard.

„Wurzeln und Flügel“ habe er vom Elternhaus geerbt, sagt Arthur Cohn, als der Oberkellner schon die frischen Erdbeeren mit Sahne bringt. „Man braucht beides.“ Wie wichtig waren ihm da seine Wurzeln, ausgerechnet einen Film über das Attentat auf israelische Sportler zu machen? „Hätte der einzige noch lebende palästinensische Attentäter nicht mitgewirkt, ich hätte den Film nicht gemacht“, sagt er. „Der Film soll keine späte Anklage sein, er soll Geschichte authentisch wiedergeben.“ Echt sein, treu sein, „und vor allem nie das Träumen aufgeben“ – wenn Arthur Cohn von seinen Grundsätzen spricht, klingt es irgendwie altmodisch. Schön altmodisch.

Beim Aufstehen vom Tisch entfaltet sich die fast zwei Meter große Gestalt von Arthur Cohn, er beugt, als schiene seine Körpergröße ihm selbst nicht angemessen, den Rücken ein wenig und stellt den Kopf schräg, um sein kleineres Gegenüber nicht zu erschrecken. „Wir sehen uns wieder“, sagt er zum Abschied, und man mag ihm glauben. Dann geht er, immer noch ein wenig gebeugt, unbelästigt von Blicken durch die Basler Fußgängerzone.