Der WeitHopper

Kofi Amoah Prah trägt in Sydney den Bundesadler auf der Brust, hört gern deutschen HipHop und läuft erst bei Wettkämpfen zur Höchstform auf

von OKE GÖTTLICH

Lässig federnd, mit überdimensionalen Kopfhörern und tragbarem CD-Spieler bestückt, kommt er den Wartenden am Sportforum entgegen. Es ist kurz nach 10 Uhr. „Kofi ist ein Eierkopp“, sagt sein Trainer Klaus Beer süffisant, als er vom Pressetermin erfährt, den sein Schützling innerhalb der Trainingszeit verabredet hat. Und das kurz vor dessen Start bei den Olympischen Spielen in Sydney. Doch Kofi Amoah Prah grinst so unwiderstehlich, dass ihm auch der ernste, wortkarge Übungsleiter nichts entgegensetzen kann.

Es ist derselbe unbeschwerte Charme, der ihm Ende Juli in Braunschweig bei den diesjährigen deutschen Meisterschaften stehende Ovationen bescherte. Der Publikumsliebling sprang 11 Zentimeter über die magische 8-Meter-Marke und wurde deutscher Meister. Anders als viele seiner Kollegen verschwand er nicht direkt in den Katakomben oder ließ sich routiniert auf eine Stadionrunde ein, sondern hüpfte auf und ab wie ein Känguruh und kämpfte mit seinen Emotionen. „Vielleicht ist das ein afrikanisches Element in mir“, sagt der gebürtige Ghanaer.

Prah liebt es, sich nach einem hart erarbeiteten Erfolg feiern zu lassen, wild zu gestikulieren und dem Publikum Freude zu bereiten. Später, im „ZDF-Sportstudio“, beantwortete der Berliner mit Schnauze die Frage, warum ihm denn das schlechte Wetter in Deutschland nichts ausmachen würde mit klaren Worten: „Weil ich ein guter Deutscher bin.“

Spaß, Ehrgeiz, Leidenschaftlichkeit und die dunkle Haut sind für den 25-Jährigen die wesentlichen Faktoren seiner Beliebtheit: „Das Interesse, das bisher entstanden ist, liegt nur daran, dass man Deutscher mit anderer Hautfarbe ist“, begründet er diese Art exotischer Popularität, die andere farbige Sportler als positiven Rassismus bezeichnen. Eine Form des Rassismus, den Prah erträgt. „Lieber eine schwarze Perle als eine Boxernase“, berlinert er schroff.

Seit er denken kann, ist Prah Berliner. Mit seinen Eltern kam er aus Ghana nach Deutschland, als sein Vater anfing, den ghanaischen Botschafter durch Ostberlin zu kurven. So wuchs er in der DDR auf, bis er 14 war und die Mauer fiel. Die Ost-West-Frage hat für ihn als Jugendlicher nicht existiert. Angenehm unbelastet spricht der Olympionike von seiner Zeit als Dunkelhäutiger in der ehemaligen DDR. Ein unbeschwerter Gestus, den viele Berliner von ihm lernen könnten. Der Mauerfall kam für ihn zu einem passenden Zeitpunkt: Die Entscheidung, ob er sich in die Mühlen des DDR-Sportsystems begeben wollte, musste nicht mehr gefällt werden. „Das gab es eigentlich auch nicht, dass Ausländer auf die DDR-Sportschule kommen.“

Unmittelbar nach dem Mauerfall trainierte er dann beim SC Dynamo Berlin. Dort lernte er mit Klaus Beer einen Trainer kennen, der weiß, wie er seinem Schützling den noch etwas derben technischen Stil austreiben kann. Immerhin holte Beer bei den Olympischen Spielen 1968 mit 8,19 Meter die Silbermedaille hinter dem legendären Bob Beamon mit seinem gewaltigen 8,90-Meter-Sprung. Nun feilt er an jungen Weitsprungtalenten und versucht Prahs Schnellkraft mit einer verbesserten Technik so zu verbinden, dass die 8,54 Meter von Lutz Dombrowski von 1980 nicht mehr viel länger deutscher Rekord bleiben.

„Drauf habe ich ihn“, sagt Prah, der inzwischen für den LAC Halensee startet, selbstbewusst und muss seinen Trainer wohl immer wieder überraschen. Denn selten springt Prah im Training überhaupt an die 8 Meter heran. „Erst im Wettkampf kann ich bis zu 40 Zentimeter mehr aus mir rausholen.“ Die Anspannung, dieser leichte nervöse Druck, der die Haut kribbeln lässt, in Verbindung mit tausenden von Augenpaaren kitzelt das Allerletzte aus ihm heraus. Prah braucht das Publikum wie der HipHop-MC seine Crowd. Erst im Zusammenspiel von Extrovertiertheit und der Wirkung auf die Masse entlädt sich die nötige Explosionskraft, die am Weitsprungbalken notwendig ist. Es ist die Technik, der Style, die letztlich Weite, Erfolg und Jubel ausmachen.

„Ich höre gern HipHop. Vor allem Fünf Sterne Deluxe, Das Bo und die Massiven Töne“, erklärt Prah und spricht ein Feld an, in dem der Kulturtransfer schon so viel fortgeschrittener ist als in manchen Sportredaktionen dieses Landes. „Da ist es doch inzwischen ganz normal, dass Farbige auf Deutsch rappen“, stellt der Berliner fest. In anderen EU-Ländern ist das auch im Sport bereits die normalste Sache der Welt.

Vor heimischen Publikum wird Kofi Amoah Prah beim heutigen Istaf-Meeting im 100-Meter-C-Lauf antreten, weil kein Weitsprungwettkampf stattfindet. Seine Bestzeit liegt bei 10,50 Sekunden, und vielleicht pusht ihn das Publikum zu schnelleren Zeiten, sodass Prah seine Disziplinwahl nochmal überdenken muss. Das wäre dem MC unter den Weitspringern ebenso zuzutrauen wie seine unbeholfene Art, beim Redakteur zurückzurufen, um zu fragen, ob man der ist, der die Zeitungen vertreibt, und nach dem Interview wissen will, auf welchem Sender das läuft. In diesen Momenten versteht man, warum Klaus Beer ihn manchmal „Eierkopp“ nennt.

Das Internationale Stadionfest (Istaf) 2000, das heute Abend um 18 Uhr im Berliner Olympiastadion beginnt, ist der letzte große Test der Leichtathleten vor den Olympischen Spielen in Sydney